Es war Mitte der 1950er Jahre als sich die Wege von Joan Miró und Gustavo Peñalver Vico zufällig kreuzten. Der junge Gustavo war aus dem Umland der Insel wieder einmal in die Hauptstadt Palma gekommen. Überaus stolz war er auf das Mofa, das ihm seine Mutter geschenkt hatte. Damit konnte er schnell von A nach B gelangen, vor allem zur Schule. Das motorisierte Zweirad ermöglichte Gustavo aber auch, die Stadt einfacher und schneller entdecken zu können, Orte zu erreichen, die er in Skizzen festhielt.
Das geheimnisvolle Büro
Gustavo fuhr auf seinen Entdeckungsreisen häufig durch die Calle Jardí Botànico, nahe der Rambla. Eines Tages fiel ihm dort ein beleuchtetes Büro auf. „An mehreren Tischen arbeiteten Männer an Skizzen, der Raum war hell erleuchtet, offenbar handelte es sich um Architekten“, erinnert sich der Künstler.
Kurz vor den Sommerferien, als seine Freunde zum Strand gehen wollten, machte Gustavo lieber Halt an besagtem Büro, das längst sein Interesse geweckt hatte. Denn Gustavo begeisterte sich fürs Zeichnen, brachte Stadtansichten zu Papier – und suchte einen Ferienjob.
Ferienjob mit Perspektive
An jenem Sommertag klingelte er, und ein gewisser Enríque Juncosa Iglesias öffnete die Tür. Enríque war nicht nur Architekt, sondern auch der Bruder von Pilar, der Ehefrau Mirós. Gustavo fragte nach der Möglichkeit eines Ferienjobs – einerseits, um ein bisschen Geld zu verdienen, andererseits, um zeichnerisch von den Profis zu lernen.
Gesagt, getan. Nach etwa zwei Wochen erhielt Gustavo von Don Enríque den Auftrag, einige Skizzen zu seinem Schwager zu bringen. Sein Name sei Miró, ein großartiger Maler, seine Bilder erinnerten zwar an Kinderzeichnungen, seien aber überaus begehrt und teuer. Zudem besitze Gustavo ein Mofa, könne also die Dokumente schnell hinbringen.
Tatsächlich handelte es sich bei der kostbaren Post um Skizzen des berühmten katalanischen Architekten und Kunstliebhabers José Luis Sert, die er für Mirós neue Werkstatt in Cala Major angefertigt hatte.
Ungezwungenes Kennenlernen
„Nachdem ich geklingelt hatte, öffnete mir Pilar die Tür“, berichtet Gustavo. „Sie hatte lange, dunkle Haare, und sie war ihrem Bruder Don Enríque wie aus dem Gesicht geschnitten.“ – Gustavo legte die Zeichnungen auf einen Tisch und verabschiedete sich.
Mehrere Male brachte er so Dokumente zum berühmtem Miró, und eines Tages nahm der Künstler sie persönlich entgegen.
„Miró war ein überaus sympathischer, gebildeter Mann. Er war nicht sehr groß, strahlte aber unendlich viel Energie aus“, erinnert sich Gustavo. „Er war einfach eine echte Persönlichkeit mit Ausstrahlung; Probleme löste er ruhig und sachlich, er war nie aufbrausend.“
Von da an war Gustavo häufiger Gast im Hause von Pilar und Joan Miró. Er erledigte verschiedene Botengänge und holte sogar Medikamente. Gustavo spricht von einer echten Freundschaft, welche die beiden Männer, trotz des Altersunterschieds, verband: „Ich bewunderte ihn, er respektierte mich“, so Gustavo.
Irgendwann zeigte Gustavo dem großen Miró seine ersten eigenen, farbigen Gemälde: Bunte Bilder mit kraftvollen Farben, die bereits im Ansatz seinen Stil erkennen ließen. Miró war begeistert. „Das bist Du, das ist Gustavo“, rief der Künstler. „Komm’, Junge, setze genau das fort“, sagte Miró, wie Gustavo heute berichtet.
Nicht von Miró beeinflusst
Nicht selten werden zwischen Gustavo und Miró Parallelen gezogen. Doch das ist nicht richtig. Dieser Behauptung tritt Gustavo entschieden entgegen: „Miró hat mich nicht beeinflusst. Ich bin zwar auch ein Fan der Farben, aber Miró hat nie zu mir gesagt, dass ich Techniken und Ausdruck anwende, die ihm ähnlich seien“, sagt Gustavo.
„Mich haben Henri Matisse geprägt, vielleicht noch drei oder vier andere Maler, musikalisch Jacques Brel, den ich noch heute höre, wenn ich in meinem Atelier arbeite. Aber Miró? Nein!“ – Und Gustavo fügt an, dass trotz ihrer Freundschaft die beiden vieles trennte: „Ich hatte ein anderes Weltbild, auch eine völlig andere politische Einstellung zum Spanischen Bürgerkrieg.“
Lebenslanger Kontakt
Häufig trafen sich die beiden Künstler, erzählten von ihren Erlebnissen, ihren Eindrücken, diskutierten verschiedene Themen. Besonderes Interesse hatte der Katalane Miró an Gustavos erster Ausstellung in Barcelona. „Miró fragte viel, wollte ganz genau wissen, wie das Publikum reagierte“, sagt Gustavo.
Aufgrund der fortschreitenden, künstlerischen Aktivitäten und wachsenden Bekanntheit von Gustavo und seiner damit verbundenen, vielen Reisen durch die ganze Welt, wurde der Kontakt zu Miró seltener. Miró nahm ihm das nicht übel, er wusste, dass eine künstlerische Karriere, die man, wie Gustavo, mit Energie und Hingabe betreibt und verfolgt, Opfer verlangt.
Zudem war er selbst in eigene Projekte auf der Insel eingebunden.Im Jahre 1956 hatte er seinen Wohnsitz nach Mallorca verlegt. Während sein Wohnhaus Son Abrines von seinem Schwager entworfen und gebaut wurde, zeichnete für seine Werkstatt der Architekt Sert verantwortlich. „Je mehr ich arbeite, desto mehr Lust habe ich, zu arbeiten“, sagte Miró einmal in einem Interview.
Bereits sehr früh plante Joan Miró in und für die Zukunft. Denn Mitte der 1950er Jahre begann auf der Insel die regen Bautätigkeit für den Tourismus. Der Künstler hatte Sorge, dass sein kreatives Umfeld im Strudel des sich neu orientierenden Wirtschaftsschwerpunktes irgendwann verschwinden könnte.
So übergab Miró einen Teil seines Bsitzes der Stadtverwaltung in Palma. Aus dieser Schenkung entstand 1981 die Fundació Pilar i Joan Miró. Der 90. Geburtstag des Künstlers am 20. April 1983 wurde nicht nur auf Mallorca, sondern weltweit gefeiert. Am 25. Dezember desselben Jahres starb Miró.
Geblieben ist Gustavo ein kleiner Hocker von Miró, auf dem Gustavo heute sitzt, wenn er malt. Frei vom künstlerischen Miró, aber in ewiger Verbundenheit mit einem wahren Freund.