Drei Großdemos gegen den Massentourismus
haben in diesem Jahr auf den Balearen stattgefunden.
Das sorgt nicht nur für Gesprächsstoff, sondern
gibt auch zu denken – ein Kommentar.
“Wir sind keine Zahlen, wir sind Menschen”, „Mallorca ist kein Luxusressort“, „Sie werfen uns aus dem eigenen Haus“, heißt es auf Slogan-Plakaten der Anti-Tourismus-Bewegung auf Mallorca, die sich unter anderem gegen die Wohnungsnot auf den Inseln und bestimmte Auswüchse richtet.
Wieder haben am 27. September Tausende für „weniger Tourismus und mehr Leben“ demonstriert. „Menys turisme, més vida“, so der Name der Plattform, die zum Demonstrieren aufgerufen hat. Auch andere sind mit von der Partie, teilweise durchaus mit deutschfeindlichem Unterton. „Mallorca ist nicht zu verkaufen“, heißt es zum Beispiel in katalanischen Lettern auf einer Landkarte mit deutschen Ortsnamen wie „Kap Formentor“ oder „Drachenhöhle“. So gesehen beim Kollektiv „Banc del temps de Sencelles“ in Inselmitte, das sich in der Vergangenheit der Nachbarschaftshilfe per „Stundentausch“ gewidmet hatte. Inzwischen fordern die Aktivisten die Enteignung von Ferienwohnungen, um sie per „Sozialmiete“ an Einheimische zu vergeben.
„Kill a tourist“ Angesichts von Schmierereien wie „Kill a tourist“ halten Unternehmerverbände mit der Kampagne „We love tourism“ dagegen. „Sind Sie sicher, dass niemand in Ihrer Umgebung direkt oder indirekt vom Tourismus lebt?“, laut eine der Fragen, die dabei gestellt wird, zumal dieser über 40 Prozent des BIP auf den Inseln erwirtschaftet. „Es gibt niemanden, der auf den Tourismus verzichten kann“, sagt nicht nur Handelsverbandssprecher Bartolomé Servera, sondern auch der gesunde Menschenverstand.
Seine größte Befürchtung: Mallorca könnte angesichts der Proteste aus der Mode kommen. Schon jetzt klagen Restaurants und Geschäftsinhaber über ein mäßiges Jahr durch mutmaßlich zu viele All-Inclusive-Angebote, während Airlines und Hotels fast ausgebucht sind. Für eine Saisonbilanz ist es noch zu früh, denn die besten Monate mit Qualitätstourismus durch Golfer, Gourmets oder Naturliebhaber sind inzwischen vielleicht September und Oktober – nicht Juli und August. Selbst November soll in diesem Jahr mehr Reisende anziehen als sonst, bevor das Weihnachts- und Neujahrsgeschäft anläuft, heißt es. „Belebung der Nebensaison“ hätte es früher geheißen, nun wird selbst das von manchen negativ gesehen.
Liebe Mallorquiner, müssen wir zur Paartherapie? Es stimmt jedenfalls, dass die Situation von beiden Seiten mehr Sensibilität erfordert. Wenig hilfreich sind dabei Meldungen über deutsche Polizisten aus Essen, die im Urlaub einen Taxifahrer (71) halbtot geschlagen haben sollen. Oder über die Yacht einer deutschen Multimillionärsfamilie, die mit überhöhter Geschwindigkeit vor Cala Millor ein Anglerboot überfahren, einen jungen Mallorquiner getötet und mutmaßlich die Flucht ergriffen hat. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“, heißt es im Grundgesetz, das dieses Jahr 75 wurde – obwohl es schon einmal bessere Zeiten erlebt hat. Lässt sich diese Devise auch auf den Tourismus übertragen und können wir uns verhalten wie Gäste? Auch bei uns daheim wollen wir doch, dass sich „Gäste“ sozialverträglich benehmen.