Nach der Wahl ist vor der Wahl – Spanische Parlamentswahlen im Juli
Iberische Herzschlag-Wahl in der Sommerhitze
Auf „28-M“ folgt „23-J“, so die spanische Nomenklatur für wichtige Termine im öffentlichen Leben. Gemeint ist die vorgezogene landesweite Parlamentswahl am 23. Juli nach den Regionalwahlen vom 28. Mai.
Spanien am Scheideweg: Innerhalb von zwei Monaten werden die Wähler zum zweiten Mal an die Urnen gerufen. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) hat auf die krachende Niederlage bei den Regionalwahlen auf den Balearen und anderswo in Spanien mit einer Auflösung des spanischen Parlaments reagiert und die Neuwahl von Dezember auf den 23. Juli vorgezogen.
Obwohl der konservativen Volkspartei PP in Kooperation mit den Rechtspopulisten von Vox in den meisten Umfragen ein Sieg vorausgesagt wird, rechnen sich auch die Sozialisten und ihre linken Partner noch Chancen aus. Grund ist, dass der Rechtsblock möglicherweise knapp die absolute Mehrheit von 176 Sitzen im Parlament in Madrid verfehlen könnte. Der Ball wäre dann im Lager von Pedro Sánchez, da die Nationalisten im Baskenland und in Katalonien große Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit Vox hegen. „Alle gegen Rechts“, so das heimliche Motto, das nicht nur beim Schmieden einer alternativen Mehrheit mit bis zu 16 Parteien helfen soll, sondern auch dazu auserkoren wurde, die im Mai noch demotivierten linken Wähler wieder an die Urnen zu holen.
„Wahlverbot“ im Süden
Während die meisten Beobachter nicht so recht an diese Option glauben mögen, verfügt die PSOE laut Medienberichten über interne Umfragen, die sie zumindest für möglich halten. Sánchez könnte nach dem Sommer mit relativer Mehrheit vom Parlament erneut zum Ministerpräsidenten gewählt werden, so die Spekulation, zu der ein Überraschungseffekt durch die Parlamentsauflösung gehört. Ungewöhnlich ist auch der Wahltermin am 23. Juli bei großer Hitze und mitten in der Urlaubszeit. In Andalusien sind regionale Wahlen in den Sommermonaten mit gutem Grund sogar gesetzlich ausgeschlossen. Da zudem die politische Mitte offenbar große Zweifel an der Ausrichtung einer möglichen Koalition zwischen PP und Vox hegt, könnte das Parteienspektrum kurz vor dem Termin oder am Wahltag selbst nochmals in Bewegung geraten.
Die Linkspopulisten von Podemos, denen in den Medien die Schuld für die Niederlage im Mai gegeben wird, sind jedenfalls ins zweite Glied zurückgetreten. Ihre Kandidatinnen und Kandidaten bewerben sich nun auf einer neuen Liste namens „Sumar“, der auf Mallorca in führender Position die Öko-Nationalisten von Més angehören. In Madrid wurde die unbeliebte Gleichstellungsministerin Irene Montero – Ex von Podemos-Gründer Pablo Iglesias – gleich ganz von der Liste verbannt. Das neue Bündnis kommt in Umfragen auf Anhieb auf 11-14 Prozent und liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den Rechten von Vox.
Gleichzeitig spekulieren Pedro Sánchez und seine Verbündeten in der Wählerschaft vor allem auf den weiblichen Teil, da Vox immer wieder mit Macho-Sprüchen auffällt, ein überholtes Familienbild propagiert und mutmaßlich Gewalt gegen Frauen relativiert. Sogar die konservative PP-Spitzenkandidatin Maria Guardiola in der Region Extremadura hat die Rechtspopulisten als „frauenfeindlich“ bezeichnet und verweigerte im Juni eine Koalition oder einen Tolerierungspakt mit ihnen. Anders als auf Mallorca und den Nachbarinseln (siehe nächste Doppelseite) gibt es nun wahrscheinlich Neuwahlen in Extremadura.
Spanienweit könnte eine Situation eintreten, in der nach der Wahl keines der Lager auf eine Mehrheit im Parlament kommt. Das bunte Bündnis von Pedro Sánchez mit seinen vielen Einzelbestandteilen teils radikaler oder separatistischer Art wurde von Kritikern auch schon als „Frankenstein-Koalition“ beschimpft. Da die Stimmen seit seinem Amtsantritt 2018 wegschmelzen, wird die Regierungsbildung nicht einfacher. Gut möglich, dass die Spanierinnen und Spanier nun einfach für klare Verhältnisse sorgen wollen, und ihr Schicksal nun der PP mit Alberto Núñez Feijóo, dem Ministerpräsidenten der Region Galicien, anvertrauen wollen.
Dass dieser auf Unterstützung durch Vox angewiesen wäre, scheint die meisten ebenso wenig zu stören wie jüngst in Italien, als ebenfalls ein Rechtsbündnis an die Macht kam, welches sich inzwischen sogar wachsender Beliebtheit erfreut. Trotz aktuell guter Wirtschaftsdaten werden der Regierung Sánchez diverse Skandale und Problem zur Last gelegt. Ärger herrscht unter anderem über die hohe Inflation, mangelnden Wohnraum und separatistische Auswüchse. Außerdem gibt es sehr geteilte Meinungen über das Corona-Management während der Pandemie, nachdem das Verfassungsgericht – ganz anders als in Deutschland – viele Maßnahmen und Bußgelder nachträglich annulliert hat.
Sollte es am 23. Juli dennoch knapp werden, wäre auch eine Wahlwiederholung innerhalb von sechs Monaten denkbar. Dieses Szenario hatte Spanien bereits 2015/2016 und 2019 erlebt – einmal zugunsten der PP und einmal zugunsten der PSOE. 2018 war Sánchez mit Unterstützung von Basken, Katalanen und Linken über ein konstruktives Misstrauensvotum gegen PP-Regierungschef Mariano Rajoy an die Macht gelangt. Also durchaus italienische Verhältnisse für das politisch ehemals so stabile Spanien, das von 1982 bis 2018 lediglich vier verschieden Regierungschefs hatte.
Trend auf Mallorca
Regional auf den Balearen gibt es jedenfalls bereits einen klaren Trend zu den bevorstehenden spanienweiten Parlamentswahlen. Eine von NC Report im Auftrag des Portals mallorcadiario.com durchgeführte Umfrage deutet auf eine Verschiebung in der politischen Landschaft hin. Laut der Studie erhält die Volkspartei die Hälfte der acht Sitze, die die Balearen im Abgeordnetenhaus haben. Dies entspricht einem Zuwachs von zwei Sitzen gegenüber 2019. Die PSOE könnte ihre bisherigen zwei Sitze verteidigen, während Vox und Sumar/Més jeweils auf ein Mandat kommen. NC-Reports sieht eine starke Mobilisierung der Mitte- Rechts-Parteien und einen Rückgang der Mobilisierung der linken Parteien, insbesondere der Parteien links von der PSOE.