Graffitis mit dem von Bluttropfen unterlaufenen Schriftzug „Tourismus macht frei“ – wie jüngst in Palma aufgetaucht – würden in Deutschland wohl den Straftatbestand der Verharmlosung des Nationalsozialismus erfüllen, StGB § 130 (3). Wenig Spaß verstand man zum Beispiel bei Ungeimpften, die sich in der Corona-Zeit mit einem nachgeahmten Judenstern öffentlich als Opfer stilisieren wollten – obwohl hierzu noch keine abschließende höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt.
Eindeutiger steht es mit der Parole „Impfen macht frei“, insbesondere als Bildkomposition mit dem Tor eines Konzentrationslagers: Verschiedene Oberlandesgerichte sehen in solchen Fällen übereinstimmend Volksverhetzung als gegeben an. Man hüte sich also, unter dem Mantel von Ironie, Satire, Sarkasmus oder Zynismus falsche Vergleiche mit den Verbrechen der NS-Zeit anzustellen. Kaum weniger unsinnig und deplatziert erscheint indes eine Formulierung aus der Tageszeitung „Diario de Mallorca“, die einmal aus der Feder des scharfzüngigen und oftmals treffsicheren (allerdings subtil deutschfeindlichen) Kolumnisten Matías Vallés floss – und das Leben in Palma mit der Situation des belagerten und bombardierten Aleppo in Syrien verglich.
Liebe Mallorquiner, ganz so schlimm sind die Auswirkungen des Massentourismus nicht. Und einen Gutteil davon habt ihr euch selbst zuzuschreiben, mit eurem Profitstreben, einer gewissen Nachlässigkeit bei gleichzeitig höchsten Ansprüchen an andere sowie einem Mangel an vernünftiger Raumplanung seit vielen Jahrzehnten. Wir wollen nicht ungerecht sein, denn die Insulaner haben auch viele gute Seiten wie Freundlichkeit, Weltoffenheit, Kulturaffinität, die ihnen einerseits im Naturell liegen, andererseits aber vielleicht auch mit dem viel gescholtenen Tourismus zu tun haben.
Ein schwarzer Humor mit ganz viel Sarkasmus zählt ebenfalls zu den mallorquinischen Nationaleigenschaften, teilweise in gesungener Form gegen die Obrigkeit als sogenannte „Gloses“ rund um das Sant-Antoni-Fest – wohl auch der Hintergrund von derart steilen Aussagen wie oben beschrieben.
Zugegeben, pure Lebensfreude und „mediterrane Genüsse“ stehen nicht immer unbedingt im Mittelpunkt des Alltags auf Mallorca, falls man nicht gerade das nötige Kleingeld von zu Hause mitbringt (am besten sechs- oder siebenstellig). Nicht wenige kehren dem Traum vom (dauerhaften) Leben auf der Insel deshalb früher oder später wieder den Rücken.
„Teilzeit-Residenz“ oder „Workation“ im Winterhalbjahr sind je nach Umständen vielleicht die bessere Alternative, aber der „schlimme“ Moment des Hochsommers ist auch schnell wieder vorbei. Wer Mallorca kennt, der weiß: Es gibt kaum eine bessere Reisezeit als September/Oktober, dank guter Flugverbindungen in beide Richtungen (böser, böser Tourismus!) auch mal nur für ein paar Tage.
Ach ja, Aktivisten vom Kollektiv „Ocupem les nostres platges“ („Lasst uns unsere Strände besetzen“ hatten für den 11. August die (friedliche) „Rückeroberung von Ballermann 6“ angekündigt und mit etwa 100 Teilnehmern den Strand am berühmt-berüchtigten Strandkiosk „Balneario 6“ in Beschlag genommen. Klamauk und mediale Aufmerksamkeit waren garantiert (diesmal sogar mit Polizeihubschrauber), wobei im Allgemeinen nicht Militanz und Radikalität die Mallorquiner auszeichnet (außer vielleicht in der Sprachpolitik), sondern eine große Gelassenheit sowie ein gerüttelt Maß Kreativität und Toleranz. Das muss man ihnen lassen. Mir sind auf Mallorca jedenfalls keine Freundschaften bekannt, die an Diskussionen über Corona zerbrochen wären