Endlich verstehe ich, wie die Porträtfotos von Schriftstellern funktionieren. Ich hatte mehrere Versuche mit Fotos aller möglichen Arten unternommen und mein Archiv nach Schnappschüssen durchwühlt: Beim Wandern in den Bergen – bemüht optimistische Miene beim Aufstieg, Meerespanorama im Hintergrund, in meinem Blick ist abzulesen: Wann hat er’s endlich? – oder beim Vorlesen – Blick ins Publikum, in dem die bange Frage durchschimmert: Werden sie es genauso toll finden wie ich?
Als vor vielen Jahren der Verlag meines Erstlingswerks nach einem Foto fragte, versah ich gerade Dienst in der Sahara, die damals auch kommunikationstechnisch eine Wüste war. Eine gut mit mir bekannte Spanierin, die zu Hause die Stellung hielt, musste meine Schubladen nach Fotos durchsuchen und fand herzlich wenig. Das hatte damit zu tun, dass ich damals der Einzige in der Familie war, der fotografierte, und weil Selfies für mich etwas Kapitulationistisches an sich haben (niemand interessiert sich für mich, also muss ich mich selbst fotografieren), fand sie nur sehr wenige Erwachsenen-Fotos meiner Wenigkeit.
Zumal ich mich, sobald ein fotografierfähiges Gerät auf mich gerichtet ist, schon seit jeher genauso verhalte wie die Zuschauer bei einem Sportereignis, wenn sie merken, dass sie von der „Fan Cam“ aufs Korn genommen werden: Ich führe mich auf wie ein Volltrottel.So schickte die besagte Spanierin eine kleine Auswahl und der Verlag fragte schüchtern zurück, ob es denn vielleicht doch Bilder von mir gebe, auf dem ich nicht entweder esse oder dämlich grinse.
Aus marketingtechnischen Katastrophen wie diesen lernt man. Die sozialen Netzwerke dienten mir als Testgelände. So probierte ich mehrere Konterfeis, bis eines Tages neben mehreren Dutzend Höflichkeits-Likes, die man immer kriegt, wenn man sein Profilfoto gegen ein nicht gänzlich missratenes neues Bild austauscht, die Reaktion kam: „Du siehst aus wie der künftige Nobelpreisträger.“
Ich sah mich auf dem richtigen Weg, wollte es aber nicht weiter dem Zufall überlassen. Daher wandte ich mich an einen einschlägig bekannten Fotografen. Er verlangte, ich möge entweder in etwas Schwarzem oder aber im Strickpulli anrücken, “Intello oder Wilder, dazwischen gibt’s nix”, warnte mich davor, mich zu kämmen, und riet, jemand Gescheiten mitzubringen, mit dem ich angeregt diskutieren könnte, wegen des Gesichtsausdrucks.
Meine gescheiten Freunde waren alle zu gescheit, um ihre Zeit zu verschwenden, und ich musste allein ins Studio. Der Fotograf verlangte, mein Blick solle Tiefe, Schärfe und Geist ausdrücken, und meine Miene “entweder ironische Brillianz oder intelligente Melancholie, dazwischen gibt’s nix.” Ich entschied mich für ironische Brillianz und guckte so tief-scharf-geistvoll wie möglich, aber der Fotograf schüttelte nur den Kopf. Nach drei Stunden ergebnislosen Bemühens und schon einigermaßen erschöpft griff er zu einem billigen Trick, wie er mir später gestand, indem er wie nebenbei eine Tafel Schokolade in meinem Blickfeld platzierte. Ich begann nachzugrübeln, wie ich ein Stück davon ergattern konnte, meine Augen verengten sich scharfsinnig und mein Mund verzog sich nachdenklich. Es machte “Klick” und der Fotograf schrie: “Phantastisch!”
Thomas Fitzner ist Journalist
und Romanautor (u.a. „Deine fremde Tochter“).
www.thomasfitzner.com