IZ Kolumne Thomas Fitzner September 2024
Warum Tom Cruise mit meinem Gesicht herumläuft
Vor kurzem musste ich wieder tun, was ich am meisten hasse: Per Internet eine Reise buchen. Eine Mietauto-Reservierung war ebenfalls dabei und funktionierte auch. Dann allerdings erforderte die Vorrang-Option am Schalter (zu Deutsch: Fast Track), dass ich mit meinem Handy zuerst Fotos von meinem Ausweis und Führerschein, und dann auch von mir selbst anfertigen musste. Die Bilder wurden direkt in das System des Autovermieters eingespeist. Oder wären eingespeist worden. Denn da gab es ein Problem: Während Ausweis und Führerschein klaglos erfasst wurden, wollte das System mein Porträt nicht akzeptieren. Ohne es so zu formulieren, wurde mir beschieden: Mit dieser Fresse kommst du hier nicht durch.
Mühelos folgte ich der Anweisung, nicht zu lächeln, hielt den Kopf still, blickte finster in die Handy-Kamera, doch immer wieder kam die Nachricht: Der Prozess konnte nicht abgeschlossen werden.
Kurz erwog ich, auf den Fast Dreck zu verzichten. Doch dann aktivierte mein Hirn jene Hartnäckigkeits-Neuronen, die mir in der Vergangenheit u.a. ermöglicht hatten, einen beim Holzschlagen verlorenen Autoschlüssel wiederzufinden, der mit keinem schillernden Schlüsselanhänger gewinkt und sich vielmehr im laubbedeckten Waldboden eingegraben hatte, fragt mich nicht wie.
Mein Blick fiel auf das Ausweisfoto und der Blitz der Erkenntnis schlug ein: Dort hatte ich einen schüchternen Zwei-Tage-Bart, im Moment der Fast-Track-Aktivierung hingegen ein Zwei-Wochen-Gestrüpp (ich hasse Rasieren fast noch mehr als online eine Reise organisieren, außerdem sehe ich gerne so cool aus wie die M-Ä-N-N-E-R aus der Deodorant-Reklame). Darum also fand das System keine Ähnlichkeit zwischen mir und dem ID-Konterfrei! Konsequenterweise rasierte ich mich auf der Stelle und dachte noch:
Nur gut, dass ich nicht das umgekehrte Problem hatte, denn ein Vierzehn- Tage-Bart ist schneller gestutzt als gezüchtet.
Zweiter Versuch. Wieder erklärte mir das System, mein Gesicht sei ein Problem. Diesmal war die Fehlerquelle rasch identifiziert: Ich war von der hastigen Rasur nahezu blutüberströmt, das verstörte die KI. Also flugs das Gesicht reinigen und schnell wieder böse in die Kamera schauen. Bingo! Nun wurde ich aufgefordert, nach rechts und nach unten zu blicken. Mit anderen Worten: In irgendeinem Server auf der Welt stellte ein Programm von meinem Antlitz ein 3 D-Bild her.
Obwohl „Mission Impossible“ mein Cineasten-Curriculum schmückt, erkannte ich zu spät, dass mir damit schlagartig attraktive Karrierewege verbaut waren. Jegliche Berufe, bei denen der Zugang zu Sicherheitsbereichen mit Gesichtserkennung erfolgt, konnte ich nun vergessen, vom NATO-Geheimdienstchef bis zum Dezernenten für Baurecht im Rathaus von Palma. Profi-Hacker würden das 3-D-Bild meines Konterfeis klauen und Tom Cruise würde sich eine Thomas-Fitzner-Maske überstülpen, meinen denaturierten Vorarlberger Akzent lernt er in drei Minuten, und schon ist er drin im Allerheiligsten.
Kurz wog ich die dramatische Verengung meines beruflichen Horizonts gegen die Vorteile des Fast Track beim Schalter des Autoverleihs ab. Und nahm das Opfer schließlich hin. Damit aber eines klar ist: Wehe, ich muss warten…
Thomas Fitzner ist Journalist
und Romanautor (u.a. „Deine fremde Tochter“).
www.thomasfitzner.com