IZ-Kolumne von Lutz Minkner Januar 2024
National- und Regional- Regierungen unter Druck: Erpressung statt Kompromiss
Die Demokratie lebt vom Kompromiss. Die Parteien versuchen, trotz der divergierenden Überzeugungen und Ideen eine Lösung zu finden, die für beide Seiten annehmbar ist und mit der beide Parteien leben können. Diese bewehrten demokratischen Spielregeln werden zur Zeit mancherorts missachtet: Parteien scheinen, nicht mehr den Kompromiss zu suchen und scheuen sich nicht, den politischen Gegner zu erpressen.
Ein beredtes Schauspiel lieferte Mitte Dezember des vergangenen Jahres der ungarische Staatschef Orbán in Brüssel, als die 27 EU-Staaten über die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der Ukraine in die EU abstimmen wollten. 26 EU-Mitglieder waren dafür, Orbán dagegen. Viele Einzelgespräche zwischen Orbán und anderen Staatschefs führten zu keinem Kompromiss. Orbán blieb bei seiner Forderung, bei einer „Lösung“ nur mitwirken zu wollen, wenn die 31 Milliarden, die wegen Vorwürfen der fehlenden Rechtsstaatlichkeit und der Korruption zu Lasten Ungarns eingefroren waren, ausgezahlt werden. Schließlich fand man einen faulen Kompromiss, um die Einstimmigkeit herbeizuführen: Orbán verschwand für die Zeit der Abstimmung für eine Toilettenpause aus dem Parlamentssaal, so dass die verbleibenden 26 Staatschefs einstimmig abstimmen konnten. Als Dank für den Toilettengang wurden 10 Milliarden Euro zu Gunsten Ungarns freigegeben. Und Orbán setzte sein Erpressungsmanöver sogleich fort: Wenn man im Januar über die Auszahlung von 50 Milliarden Euro Aufbauhilfe entscheiden solle, werde Ungarn nur zustimmen, wenn auch die restlichen 21 der eingefrorenen Milliarden ausgezahlt werden.
Wir müssen jedoch unseren Blick nicht über die spanischen Grenzen schweifen lassen. Sowohl die spanische Nationalregierung als auch die Regionalregierung sind derzeit ständigen Erpressungen und Erpressungsversuchen von Ultralinken, Ultrarechten und Separatisten ausgesetzt.
Sánchez hatte, um seine Wiederwahl zu erreichen, ein Abkommen mit den katalanischen Separatisten JxCat geschlossen, dass eine Amnestie für verurteilte Straftäter und Organisatoren des illegalen Unabhängigkeitsreferendums für Katalonien von 2017 vorsieht. Sánchez hatte noch während der Wahlen erklärt, keinesfalls einem Amnestiegesetz zuzustimmen. Aber die Gier nach Macht und die harte Verhandlungsstrategie der Separatisten, ließen ihn schlussendlich einknicken. Die separatistischen Abgeordneten wählten Sánchez – allerdings erst, als Sánchez Katalonien noch 15 Milliarden Schuldenerlass zugesagt hatte. Die Separatisten werden ihre Erpressungsmanöver fortsetzen, woran der geflohene ehemalige katalonische Präsident keinen Zweifel lässt: „Mit dem Abkommen tue sich ein Weg voller Schwierigkeiten auf“. Nur wenn Sánchez seine Zusagen gegenüber den Putschisten in vollem Umfange erfülle, sei die Stabilität der Regierung gesichert“. Mit anderen Worten: Wenn Sánchez nicht nach Puigdemonts Pfeife tanzt, war’s das mit der Präsidentschaft. Hinzu kommt, dass die Mehrheit von Pedro Sánchez im Dezember noch fragiler geworden ist. Die fünf Abgeordneten der einstigen zum Regierungslager gehörenden Partei Podemos traten im Dezember aus dem gerade erst gegründeten Linksbündnis Sumar, einem Koalitionspartner von Sánchez, aus, haben sich einer „gemischten Gruppe“ angeschlossen und schwächen damit zusätzlich die Position von Sánchez.
Auch auf den Balearen ist die konservative Marga Prohens Erpressungsversuchen ausgesetzt. Zur Zeit geht es um den Haushalt 2024. Prohens konnte diesen im Parlament nicht durchsetzen, weil er von der ultrarechten Vox torpediert wurde. VOX stimmte zwar nicht gegen den Haushaltsplan, enthielt sich aber der Stimme, was im Ergebnis die gleiche Wirkung hat. Vox macht die Zustimmung zum Haushalt 2024 davon abhängig, dass das Parlament 20 Millionen Euro für die Umsetzung der freien Sprachwahl in den Schulen billigt. „Wenn die 20 Millionen nicht fließen, wird der Haushalt gekippt“, so die unverhohlene Drohung der VOX. Und wenige Tage später sattelte VOX bei ihren Forderungen noch auf: Sämtliche staatlichen Zuschüsse für Unternehmerverbände und Gewerkschaften müssten wegfallen, die Einkommensteuer weiter gesenkt und die Vermögensteuer abgeschafft werden. Marga Prohens muss sich auf stürmische Zeiten einstellen.
Fazit: Die Politik der EU, des spanischen Nationalstaates und der Balearen ist auf einem verhängnisvollen Weg. Unsere pluralistische Gesellschaft, die von widerstreitenden Interessen gekennzeichnet ist, kann nur funktionieren, wenn die Beteiligten – Parteien, Politiker, politische Organisationen und die Bürger – bereit sind, dem Andersdenkenden zuzuhören, einander zu verstehen, von Maximalforderungen Abstand zu nehmen, Gemeinsamkeiten als Basis festzumachen und den Kompromiss zu suchen und zu finden. Schon Otto von Bismarck hatte erkannt: „Die Basis des konstitutionellen Lebensprozesses ist überall der Kompromiss“.
Lutz Minkner ist Managing Partner des Immobilienunternehmens Minkner & Bonitz.
Er blickt auf eine 45 jährige berufliche
Tätigkeit als Rechtsanwalt, Dozent, Fachbuchautor und Unternehmer zurück.
www.minkner.com