Wahlforscher stellen in vielen europäischen Demokratien Politikverdrossenheit der Wähler fest. Die Parteien und Politiker haben in der Vergangenheit Vertrauen eingebüßt. Viele Wähler glauben, dass politische Entscheidungen käuflich sind und verlieren deshalb das Interesse, sich an politischen Meinungsbildungs- und Mitbestimmungsprozessen zu beteiligen. Diese Feststellungen gelten für alle Parteien, in Spanien sowohl für die Konservativen als auch für die Sozialisten. Beide Gruppen haben eine lange von Korruptionsfällen geprägte Geschichte. So sagte mein alter Geschichtslehrer schon zu Recht: „Pack alle Politiker in einen Sack, binde ihn zu und schlage kräftig drauf. Du triffst immer den Richtigen“.
Korruption, der Missbrauch anvertrauter Macht zu eigenem Vorteil oder zum Vorteil einer Gruppe, prägt derzeit das Bild der spanischen Regierung unter Ministerpräsident Pedro Sánchez. Schon seine Wiederwahl am 16. November 2023 war ein schmutziges Geschäft. Sánchez erkaufte sich die Stimmen der linkspopulistischen Wahlplattform Sumar, der katalanisch-republikanischen Separatistenpartei ERC, der ethnisch-nationalistischen Separatistenpartei Junts per Catalunya, der linksextremistischen baskischen EH Bildu, der baskischen Nationalisten PNV, des galizischen nationalistischen Blocks BNG und der kanarischen Koalition CCA. Er zahlte dafür einen hohen Preis, nämlich die Verabschiedung eines höchst umstrittenen Amnestiegesetzes, Zulassung von Selbstbestimmungsreferenden, Schuldenerlass, Steuervorteile und Übertragung von Kompetenzen zur Steuererhebung zum Nachteil der meisten spanischen Autonomen Regionen. Folgen dieser Rechtsbrüche sind bis heute andauernde Demonstrationen und gerichtliche Verfahren. Die Kritik kommt auch aus dem eigenen Lager. Der frühere Regierungschef Felipe Gonzales mahnt,“mit der Verfassung und den Institutionen des Landes behutsam umzugehen, um die Demokratie nicht zu gefährden“.
Derweil verstrickt sich Sánchez immer tiefer im Korruptionssumpf: Gegen etwa 30 seiner Familien- und Parteimitglieder laufen derzeit strafrechtliche Ermittlungen. Im Mittelpunkt steht auch die Sanchez-Ehefrau Begonia Gómez. Obwohl sie keinen akademischen Abschluss hat, wurde sie Vizedekan der Hochschule Complutense, wo sie auch sogleich eine außerordentliche Professur erhielt. Nun gut: Margot Honecker hat es durch Mitwirkung ihres Gatten Erich auch von der Telefonistin zur Bildungsministerin der DDR gebracht.
In ihrer neuen Funktion unterzeichnete sie auch sogleich zwei Empfehlungsschreiben zugunsten des Unternehmers Juan Carlos Barrabés, die ihm zu einem öffentlichen Auftrag ohne Ausschreibung von 7,7 Millionen Euro verhalf. Es folgten weitere 53 Regierungsaufträge mit einem Gesamtvolumen von 18,2 Millionen Euro. Mehrere dieser Verträge werden derzeit überprüft, da sie offensichtliche Unregelmäßigkeiten enthalten.
Weiter wird gegen Sanchez wegen illegaler Parteienfinanzierung ermittelt. In diesem Verfahren wird von einem Unternehmer gesprochen, der eine Plastiktüte, gefüllt mit 90.000 €, in der Parteizentrale der Sozialisten in der Calle Ferraz in Madrid übergeben haben soll.
Die schwersten Anschuldigungen betreffen den „Fall Koldo“. Koldo Garcia war ein ehemaliger Berater des damaligen Verkehrsministers José Luis Abalos. Garcia war Teil eines Korruptionsnetzwerks mehrerer Unternehmer und Beamter. Dieses Netzwerk soll Bestechungsgelder in Höhe von 50 Millionen Euro für die Vermittlung und den Kauf von Masken während der Pandemie vereinnahmt haben. Über eine Briefkastenfirma mit Sitz in Saragossa erhielten die Beschuldigten große Regierungsaufträge zur Lieferung von Masken, obwohl diese Firma bis dahin keinerlei Geschäfte ausgeübt und auch keinerlei Erfahrung mit dem Import von medizinischem Material aus China hatte und höhere Preise forderte als die Mitbewerber. Die Sánchez- Regierung schloss mit Koldo Garcia drei Verträge über 40,5 Millionen Euro. Weiterhin schloss Garcia mit zwei von der PSOE regierten Autonomen Regionen (Balearen und Kanarische Inseln) Lieferverträge über 16 Millionen Euro. Die auf die Balearen gelieferten Masken waren fehlerhaft. Insoweit richten sich die Ermittlungen auch gegen die frühere Ministerpräsidentin der Balearen, Francina Armengol. Anfang 2024 wurden Koldo Garcia und 13 andere Personen festgenommen. Obwohl die ersten Korruptionsvorwürfe schon 2020 auftauchten, ließ Sánchez Abalos bis zum Sommer 2021 im Amt. Selbst nach seiner Entlassung blieb Abalos Mitglied des Abgeordnetenhauses und Vorsitzender der wichtigen Innenkommission. Unter den Verdächtigen im Fall Koldo sind weitere Politiker der Sozialisten wie Salvador Illa, Innenminister Fernando Grande-Marlaska, die ehemalige Wirtschaftsministerin Nadia Calvino und die Sánchez-Ehefrau Begonia Gomez. Die oppositionelle PP unterstellt Sánchez Mitwisserschaft, sieht aber zumindest eine politische Verantwortung des Regierungschefs für den 50 Millionen Schaden.
Ob und wie lange sich Pedro Sánchez noch an sein Amt klammern kann, bleibt abzuwarten.
Lutz Minkner ist Managing Partner des Immobilienunternehmens Minkner & Bonitz.
Er blickt auf eine 45 jährige berufliche
Tätigkeit als Rechtsanwalt, Dozent, Fachbuchautor und Unternehmer zurück.
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