Kolumne Thomas Fitzner Inselzeitung August 2021

Thomas Fitzner Kolumne Die Inslezeitung

Ich bezeichne mich gerne als thermo-insensibel. Solange meine Schuhe nicht in schmelzendem Asphalt steckenbleiben, nehme ich von Hitze keine Notiz. Dieser Zustand der Entkoppelung meines Wohlempfindens von der Meteorologie endet in dem Moment, da ich jemanden sagen höre: „Mein Gott, ist das heiß heute“. Menschen, die gerne über ihre Gemütsverfassung informieren, tendieren dazu, sich zu wiederholen. Sich oft zu wiederholen. Und mit jedem Es-ist-heute-heiß-Newsflash ändert sich mein subjektives Temperaturempfinden um zirka ein Grad nach oben.
Mit Sicherheit bin ich nicht der Einzige, dem das so geht. Bitte denken Sie daran, wenn Sie wieder einmal das dringende Bedürfnis verspüren, über etwas zu reden, was der andere sowieso weiß, aber aus seinem Bewusstsein verbannt hat, um nicht unnötig darunter zu leiden. Wenn Ihnen für Smalltalk kein anderes Thema einfällt, fragen Sie nach einer Zigarette. Ob Sie rauchen, ist in diesem Zusammenhang völlig wurscht. Raucher (und nichtradikale Nichtraucher) kommen problemlos miteinander ins Gespräch.
Damit sind wir beim Thema: Jeder Psychologe wird bestätigen, dass die empfundene Temperatur etwas weitgehend Subjektives ist. Als Naturtalent fürs Temperatur-Ignorieren denke ich über dieses Phänomen erst nach, seit ich eine Frau kennengelernt habe, die phasenweise zu einem nicht ausschaltbaren sprechenden Thermometer wird. Tatsächlich gibt es simple psychologische Tricks, das Hitze-Empfinden zu manipulieren. Das beginnt mit der Farbe für die Zimmerwände. Rot (glühender Stahl) ist schlecht, Orange (Magma) suboptimal und Gelb (Feuer) ist auch nicht cool. Ein klingelndes Eiswürfelblau hingegen senkt die empfundene Zimmertemperatur um zwei bis drei Grad. Selbst akustische Effekte helfen. Schalten Sie von esoterischen Sphärenklängen auf den Arktis-Soundmix um: Das Heulen eisiger Winde, das Knirschen von Schnee und das Zähneklappern eines Eskimos kühlen das innere Thermometer nochmal ein paar Grade runter.
Der ultimative Trick jedoch heißt „Fake News“. Hier kommt Donald Trump als Champion (nicht Erfinder!) der praktischen Anwendung „alternativer Fakten“ ins Spiel. Mühelos wird das Thermometer zu einem von feindlich gesinnten Medien manipulierten Instrument und die Sonne am Himmel zur Meinungssache erklärt. Den Schweißausbruch wischen wir mit dem Satz „Das kann alle möglichen Ursachen haben“ vom Tisch. Und wenn jemand sagt: „Es ist heiß“, dann brandmarken wir dies als ideologisch motivierte Behauptung und erwidern: „Ich habe andere Informationen“. So einfach, so elegant, so effizient!
Von Politikern wie Trump – das sind viele, rechts wie links – können wir lernen. Die haben sich längst vom Faktischen verabschiedet und sprechen primär Gefühle an. Warum? WEIL ES FUNKTIONIERT! Und wenn das mit so großen Themen wie Immigration, Staatsfinanzen, Wirt­schaft, Umweltzerstörung und Klimawandel geht, dann doch wohl auch mit so kleinen wie den Celsius-Graden, die ein doofes Thermometer an einem angeblich heißen Tag anzeigt.
Thermometer lügen! Es ist nicht heiß! Das, liebe Leute, ist modernes Hitze-Management. Gern geschehen.
 
Thomas Fitzner ist Journalist
und Buchautor

(Neu erschienen:
„Das Geheimnis von Chateau Limeray“)
Infos unter

www.thomasfitzner.com