Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Oder anders gesagt: Jeder halbwegs normale Hausbesitzer würde auf die Frage, warum er gerade an dieser Stelle sein Domizil errichtet hat, antworten: „Weil es hier so schön ist“. Oder: „Weil man hier mitten in der ungestörten Natur lebt.“ Oder: „Weil man von hier aus das Meer, die Berge, die Stadt, den Sonnenauf- oder Untergang sehen kann“.
Nicht so die Katholische Kirche. So tischt uns der Vatikan seit mehr als 2.000 Jahren zu jeder noch so kleinen, irgendwo zwischen Rio und Rom zusammengenagelten Kapelle eine derartig phantastische Geschichte auf, dass manches Grimmsche Märchen dagegen zur langweiligen Schullektüre verblasst.
Bestes Beispiel auf Mallorca ist das „Santuari de Lluc“, ein über 700 Jahre alter Klosterkomplex, versteckt in einem rund 500 Meter über dem Meeresspiegel gelegenen Talkessel inmitten des Tramuntana-Gebirges mit hauseigener Basilika, Pilgerherberge, Stallungen und anderen zur früheren Bewirtschaftung nötigen Gebäude.
Nach dem Wegzug der letzten Mönche im vergangenen Jahr ist das Kloster von Lluc heutzutage Wallfahrtsort und Ausflugsziel zugleich, inklusive touristischer Zimmervermietung, Kunstmuseum, Knabenchor, Schulinternat, Freibad, Campingplatz und dem Sitz der Gemeindeverwaltung von Escorca.
Und jetzt zur Geschichte: Einer Legende nach – von denen es im vatikanischen Archiv bekanntlich nur so wimmelt – fand ein maurischer Hirtenjunge (seine Eltern waren, Gott sei Dank, zum katholischen Glauben konvertiert) im Jahre 1229 beim Herumlungern im Wald eine kleine, schwarze Marienstatue. Und brachte sie anschließend dem Dorfpfarrer von Escorca, einer mickrigen Siedlung inmitten der Tramuntana.
Doch als der die Statue am nächsten Morgen den Anwohnern präsentieren wollte, war sie verschwunden. Einer göttlichen Eingebung folgend begann man mit Hilfe des Hirtenjungen die Marienfigur zu suchen, und entdeckte sie schließlich an ihrem einstigen Fundort im Wald. Schweißgebadet brachte man die „Schwarze Madonna“ zurück ins Dorf.Aber nur, um am nächsten Tag entsetzt festzustellen, dass sich das gute Stück wieder zu seinem Lieblingsplatz im Wald teletransportiert hatte. Also machte man sich erneut auf, die widerspenstige Statue zurückzuholen.
So wäre das vielleicht noch Jahre weitergegangen, wenn der findige Pfarrer dem sisyphüssigen Hin-und-her-Gerenne nicht mit einer geradezu bahnbrechenden Idee ein Ende bereitet hätte. Motto: Wenn Maria nicht zu uns kommen will, dann kommen wir einfach zu ihr. Und da man schon einmal darüber nachdenkt, der später im Volksmund getauften „Sa Moreneta“ („Die kleine Schwarzhäutige“) inmitten der Wildnis eine Kapelle zu errichten, kann man auch gleich ein paar Steine mehr in die Hand nehmen und ein ganzes Kloster dorthin setzen. Fertig war das „Santuari de Lluc“, wobei Lluc der katalanische Name für Wald ist.
Neben der märchenhaften Entstehungsgeschichte von einst hat das Kloster seinen Besuchern heutzutage zahlreiche Sehenswürdigkeiten zu bieten. Prunkstück ist sicherlich die in dem aus mehreren Flügeln bestehenden Hauptgebäude untergebrachte Kreuzbasilika mit ihrer reich verzierten Kuppel. Die Marienstatue thront darunter, inmitten des mit Gold geschmückten Hauptaltars.
Im ersten Stock des Hauptgebäudes ist das Kunstmuseum untergebracht. Es beherbergt unter anderem eine Sammlung von Fundstücken aus der Zeit des Talaiotikums sowie Keramiken und mallorquinische Gewänder diverser Epochen.
In den oberen Stockwerken des Hauptgebäudes finden sich rund 120 Gästezimmer und Apartments, einst Herberge für Pilger und Mönche des Klosters. Die mit Heizung, TV und Badezimmer ausgestatteten Unterkünfte können seit dem 1. Juli wieder über die Kloster-Homepage gebucht werden. Die Preise liegen je nach Größe zwischen 45 und 80 Euro (zwei Personen pro Nacht). Balearen-Residenten erhalten einen Discount von 15 Prozent. Auf dem zentralen Pilgerplatz vor dem Hauptgebäude finden sich neben Bäckerei mit Supermarktecke auch eine Apotheke, ein Souvenirgeschäft sowie eine Bar und ein Restaurant.
Sehenswert sind auch die Außenanlagen des Klosters wie der oberhalb gelegene Rosenkranzberg mit verschiedenen Denkmälern und einer großen, in Stein gemeißelten Sonnenuhr.
Auf der südlichen Seite des Klosters, etwa 75 Meter vom Pilgerplatz entfernt, findet man den botanischen Garten mit rund 200 einheimischen Pflanzen, Sträuchern und Bäumen. Der Garten ist als Rundgang angelegt, allerdings machte er bei unserem Besuch einen recht verwilderten Eindruck. Ein Stück weiter hinter dem Garten liegt ein großer Swimming -Pool für die Herbergsgäste mit eigenem Barbereich.
Fazit: Das Kloster von Lluc ist ein echtes Schmuckstück unter den Ausflugszielen auf Mallorca. Dank seiner isolierten Lage inmitten eines dicht bewaldeten Bergtals vermittelt dieser Ort nicht nur für Gläubige und Pilger spirituelle Erholung. Allerdings dürfte es mit der himmlischen Ruhe spätestens immer dann vorbei sein, sobald wieder unzählige Busladungen voller Touristen über diesen fast märchenhaften Ort herfallen.
Tipp: Wer mal eine echte Auszeit – ob allein, zu zweit oder gar mit der ganzen Familie – benötigt, sollte sich hier vorzugsweise im Herbst oder Winter für ein paar Tage einquartieren. Das Kloster ist zudem Start- und Zielpunkt für zahlreiche Wanderungen durch die Tramuntana mit teils spektakulären Aussichten über Berge und Täler.
Alle Infos über Öffnungszeiten und Zimmerreservierungen unter www.lluc.net