Selten auftretende Wetterphänomene sind nicht immer gleich das Ergebnis einer sich vermeintlich anbahnenden Klima-Apokalyse. In einer unscheinbaren mallorquinischen Bergkapelle zwischen den Ortschaften Petra und Vilafranca huldigt man vielmehr seit Jahrhunderten einer Jungfrau, die hier einst für ein echtes meteorologisches Wunder gesorgt haben soll.
„Dem Herrgott sei Dank, dass es nicht regnet“, schießt es uns durch den Kopf, als wir an diesem Dienstagmorgen aus unserem Auto steigen und hinauf in den grau-blauen Oktoberhimmel schauen, über den bedrohlich dunkle Kumulus-Wolken jagen. Rund vier Kilometer außerhalb der kleinen Ortschaft Petra waren wir zuvor auf einer schmalen Serpentinenstraße den Berg hinaufgekurft, um jetzt vor dem Eingang des Santuari de Bonany zu stehen, einem Kloster samt Wallfahrtskapelle aus dem 17. Jahrhundert, etwas 300 Meter über dem Meeresspiegel. Im Gegensatz zu anderen, ähnlichen Heiligtümern, Klöstern und Einsiedeleien, die im Laufe der Jahrhunderte auf den Hügeln und Bergen Mallorcas errichtet wurden und die wegen ihrer privilegierten Lage heutzutage als ganzjähriges Ausflugsziel für Heerscharen von Touristen herhalten müssen, fristet das kleine Santuari de Bonany ein eher unauffälliges Dasein. Wer also im Herbst und Winter das Gefühl von relativer Abgeschiedenheit gepaart mit atemberaubenden Ausblicken auf die Zentralebene bene Mallorcas, inmitten eines immergrünen Pinienberges sucht, ist hier an richtiger Stelle.
Auf dem großen Vorplatz mit dem steinernen Brunnen fegt Maria gerade den Hof. Zusammen mit ihrer Familie bewirtschaftet sie seit über 30 Jahren die Kapelle und das dazugehörige Kloster im Auftrag von Mallorcas Diözese. „Bon día!“, grüßen wir. Oder hätten wir nicht lieber gleich „Bon any!“, also „Gutes Jahr!“, wünschen sollen? Schließlich heißt der Ort auch so.
Dieser fast unaussprechliche Name rührt von einer alten Legende her: 1602 herrschte auf den Feldern rund um Petra große Dürre. Monatelang war kein Tropfen mehr vom Himmel gefallen, eine katastrophale Missernte schien bereits unausweichlich. In ihrer Not begannen die Bauern schließlich die Heilige Jungfrau zu bitten, sie möge doch mal ein paar ordentliche Regenschauer auf die drögen Felder prasseln lassen. Die Jungfrau hatte Erbarmen. Zwar schickte sie keinen Regen vom Himmel, doch ließ sie dafür Gerste und Roggen, oh Wunder, auch ohne Wasser zu voller Pracht gedeihen. „Die Bauern fuhren im darauf folgenden Herbst eine außergewöhnlich gute Ernte ein und errichteten der Jungfrau zum Dank für dieses gute Jahr (Bon any auf Mallorquinisch) die Kapelle“, erzählt Maria.
Anfang des 20. Jahrhunderts sei der Tempel dann noch einmal modernisiert und um Kloster und Herberge erweitert worden.
Wer möchte, kann hier oben also auch die Nacht verbringen. Doch Vorsicht! Frühstücksbuffet, Sat-TV, Pool-Animation oder Spa sucht man hier oben vergebens. Für einen Obulus von etwa 15 Euro pro Person gebe es ein karges, aber trockenes Doppelzimmer inklusive Bett, Bad, Küchennische, Kamin und dem Gefühl, dass man dem lieben Gott hier oben eben doch ein kleines Stückchen näher ist. Wer will, kann sich hier auch taufen lassen, die Erstkommunion feiern, heiraten oder sich beerdigen lassen, tagtäglich finden zudem abendliche Messen statt.
Langeweile kommt auch außerhalb der Gemäuer nicht auf. Es gibt jede Menge zu erleben. Außer dem Wind beim Rauschen durch die Baumwipfel zuzusehen, die monumentalen Aussichten von allen Seiten des Klosters zu genießen – im Norden reicht der Blick bis zur Bucht von Alcúdia, im Osten blickt man auf den Tafelberg von Randa, im Westen breiten sich hektarweise Felder und Wiesen wie ein riesiger Flickenteppich bis an den Rand des Tramuntanagebirges aus – oder die Heilige Jungfrau von Bonany in der Kapelle zu besuchen, kann man hier oben noch jede Menge Kilometer spazieren gehen, wandern, laufen, joggen, trekken und neuerdings auch Nordic walken. Zahlreiche, meist mit Schildern ausgewiesene Pfade laden dazu ein.
Am Wochenende gehört das kleine Waldstück um das Santuari den sogenannten „domingueros“, den Sonntagsausflüglern, aus den umliegenden Ortschaften Petra und Vilafranca. Statt Kreuz und Rosenkranz haben viele von ihnen oftmals eine Paella-Pfanne im Gepäck, mit der sie es sich an den zahlreichen Feuerstellen vor dem Kloster bequem machen.
Als wir später wieder ins Auto steigen, hängen immer noch dunkle Wolken am Himmel. Aber die Heilige Jungfrau von Bonany scheint uns an diesem Tag wohlgesonnen.