Serpentinen nach Sa Calobra – Auf scharfen Kurven hinab ins Paradies
Ein Italiener baute 1932 die vielleicht spektakulärste Berg-Serpentinenstraße Europas. Und beendete damit die Idylle einer der letzten Traumstrände Mallorcas.
Die schönsten Autos der Welt tragen bekanntlich italienische Namen: Ferrari, Maserati, Lamborghini, Alfa Romeo Brera. Das unter den schicken Blechkleidern aus Mailand oder Modena häufig schludrigste Technik steckt, die im motorisierten Alltag etwa so tauglich ist wie Highheels von Prada auf einer Gletschertour, sei jetzt einmal dahingestellt.
Fest steht jedenfalls: Italiener wissen, sich auf jeder Straße und auf jedem Parkett stets elegant in Szene zu setzen.
Vielleicht ja einer der Gründe dafür, dass ausgerechnet Antonio Paretti, ein in Palma aufgewachsener Zögling italienischer Immigranten im Jahre 1932 den Auftrag erhielt, an der bis dato unwegsamen Nordwestküste Mallorcas eine der spektakulärsten Bergstraßen Europas zu bauen.
Paretti hatte sich bereits zwei Jahre zuvor mit dem Bau der Gebirgsstraße von Port Pollensa zum Cap Formentor ein Denkmal gesetzt. Doch die Serpentinenstraße hinunter zu der bis dahin vom Rest der Welt abgeschnittenen Fischersiedlung Sa Calobra und ihrer gleich nebenan ins Meer endenden Bergschlucht „Torrente de Pareis“ sollte das Sahnehäubchen seiner Ingenieurskarriere werden.
Der Weg führt durch den „Krawattenknoten“
Auf einer Luftlinie von nur vier Kilometern und einem Höhenunterschied von rund 680 Metern skizzierte Paretti eine 14 Kilometer lange Serpentinenstraße mit genau einem Dutzend Haarnadelkurven. Die schönste von ihnen, der sogenannte „Krawattenknoten“ auf Höhe des kleinen Berggipfels Sa Moleta, zählt heute noch zu den beeindruckendsten Beispielen für europäische Straßenbaukunst des 20. Jahrhunderts. Vor allem deshalb, weil es sich bei dem Bau um reine Handarbeit handelt. Maschinen und schweres Gerät konnten aufgrund des unwegsamen Geländes nicht eingesetzt werden.
Für die damaligen 32 Bewohner der „Casetes de Sa Calobra“, die sich bis dahin fast ausschließlich vom traditionellen Fischfang ernährten, brach mit der Eröffnung der Straße ein neues Zeitalter an. Innerhalb von wenigen Jahrzehnten entwickelte sich ihre bis dahin unscheinbare Hüttensiedlung in eines der meist besuchtesten Ausflugsziele auf der Insel.
Dank Paretti gelangten im Laufe des in den 50er und 60er Jahren einsetzenden Tourismusbooms ganze Busladungen von Urlaubern hinunter in die von Steineichen und Kiefern bewachsene Bucht, strampelten Horden von einheimischen und ausländischen Hobby-Bikern die schwindelerregenden Kurvenstraße hinab (und anschließend meist auch wieder hinauf), um dieses Kleinod mediterraner Naturschönheit bei Kaffee und Kuchen, Sangria und Paella unter Augenschein zu nehmen.
Oder aber, um es sich auf dem von zwei riesigen Felswänden beflankten Kiesstrand irgendwie gemütlich zu machen.
Kulisse für Film und Konzerte
Diese gerade einmal 50 Meter lange und 20 Meter breite Playa, eigentlich nichts anderes als das von Sturzregen ausgewaschene Geröllufer der hinter ihr endenden Schlucht, schaffte es 2012 sogar als Kulisse im Science Fiction-Film „Cloud Atlas“ mit Tom Hanks und Halle Berry auf die internationale Kinoleinwand.
Seit 1964 finden hier – aufgrund der besonderen, durch die steilen Felsen entstehende Akkustik an jedem ersten Sonntag im Juli Live-Konzerte verschiedener Genre wie Klassik, Jazz oder Gospel statt.
Heimgesucht wird Sa Calobra im Laufe der Sommersaison übrigens auch von zahlreichen Ausflugsbooten, die mehrmals täglich zwischen dem 11 Kilometer weiter südlich gelegenen Port Sóller und der bizarren Felsenbucht pendeln.
Dem straßenbautechnischen Verdienst von Antonio Paretti tut das natürlich keinen Abbruch. Ohne ihn wäre Sa Calobra sicherlich nicht das, was es heute ist. Im positiven wie negativen Sinne.
Seilbahn zum Puig Major
Der Italo-Mallorquiner starb 1979 im Alter von 80 Jahren in seiner Geburtsstadt Palma de Mallorca. Und mit ihm eines der vielleicht pharonischsten Bauprojekte aller Zeiten auf der Insel: Den Bau einer Seilbahn auf den über 1.000 Meter hohen Puig Mayor. Dass dieses von Paretti erdachte Projekt letztendlich nicht umgesetzt wurde, lag vor allem an den enormen Kosten, die für den Bau einer solchen Anlage notwendig gewesen wären und der einhergehenden wirtschaftlichen Misere, die Mallorca wie das restliche Spanien vor und nach dem Zweiten Weltkrieg durchmachten.
Dennoch: Eine in Stein gemeißelte Gedenktafel am Strand von Sa Calobra erinnert heutzutage an das Verdienst von Antonio Perreti, einen der vielleicht schönsten Küstenstreifen Mallorcas für den automobilisierten Rest der Menschheit zugänglich zu machen. Mit oder ohne Ferrari.