Experten Tipp Dr. Wolfgang Czichon – Das Iliosakral-Gelenk
Befragt nach dem Iliosakral-Gelenk ISG (auch Sakroiliakal- Gelenk SIG genannt), müssen die meisten wohl passen
Auch wer erfährt, dass es sich um das Gelenk zwischen Kreuzbein und Darmbeinschaufel handelt, kann sich vielleicht die Lage vorstellen, aber zur Funktion dieses Gelenks fällt wahrscheinlich nur denjenigen etwas ein, die Probleme damit haben.
Dabei haben diese Gelenke eine wichtige Aufgabe bei der Statik des Körpers. Sie verbinden auf beiden Seiten das Kreuzbein (Os sacrum) mit der Darmbeinschaufel (Os ilium) und ermöglichen die Kraftübertragung von der Wirbelsäule auf den Beckenring. Beim Gehen fangen sie die auftretenden Stöße ab, leiten sie von der Wirbelsäule auf das Becken um und entlasten so die Wirbelsäule.
Eine aktive Bewegung ist in den Iliosakral-Gelenken nicht möglich. Auch passiv sind sie im Normalfall nur minimal beweglich. Eine straffe Gelenkkapsel und starke Bänder verhindern weitere Ausschläge.
Es ist nicht immer ein Bandscheibenvorfall
Änderungen des Bewegungsausmaßes haben unter Umständen weitreichende Folgen. So kann eine hormonell bedingte Lockerung der Bänder, wie sie häufig in der Schwangerschaft auftritt, zu einer übermäßigen Beweglichkeit im Gelenk führen und die unangenehmen Rückenschmerzen verursachen, unter denen viele Schwangere gegen Ende der Schwangerschaft leiden.
Andererseits führt eine Blockierung des Iliosakral-Gelenks durch die reflektorische Muskelspannung auch zu Schmerzen und kann Beschwerden ähnlich wie bei einem Bandscheibenvorfall hervorrufen. Im Gegensatz zu einer Ischiasreizung oder einem Bandscheibenvorfall „lässt das ISG den Fuß aus“, die Schmerzen strahlen nicht bis in die Zehen aus.
Typisch ist ein tiefer Rückenschmerz, der in die Pobacken und evtl. die Hüfte oder den Oberschenkel bis an die Innenseite des Kniegelenkes ausstrahlt. Verstärkt werden die Beschwerden häufig durch charakteristische Bewegungen, wie z.B. Anheben des Beines oder Drehen und Beugen des Rumpfes (Ein- und Aussteigen ins/aus dem Auto).
Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 35 Prozent der Rückenschmerzen auf funktionelle Störungen des ISG zurückzuführen sind. Zu solchen Funktionsstörungen kann es durch länger anhaltende ungewohnte Haltungen kommen. Aber auch Fehlhaltungen, z.B. durch arthrosebedingte Schmerzen an Hüfte oder Knie, können zu Problemen im ISG führen.
Funktionelle Beinlängendifferenz
Eine Beinlängendifferenz stellt ebenfalls eine erhebliche Belastung für das Gelenk dar, löst aber selten Beschwerden aus. Andererseits können Störungen des Iliosakral-Gelenkes einen funktionellen Beckenschiefstand auslösen und eine Beinlängendifferenz vortäuschen. Das hat dann natürlich Auswirkungen auf Muskulatur und Gelenke des Beines und führt zu Beschwerden.
Manchmal liegt eine Entzündung zugrunde
Nicht ganz selten werden Schmerzen im Bereich des ISG auch durch entzündliche Veränderungen hervorgerufen. Besonders bei einem Morbus Bechterew (Spondylitis ankylosans) kommt es häufig zu rezidivierenden entzündlichen Schüben im ISG. Bei immer wiederkehrenden Schmerzen im ISG sollte daher immer auch eine rheumatische Ursache der Beschwerden ausgeschlossen werden.
Brüche im Bereich des ISG sind zwar möglich, kommen aber eher selten vor. Während sich die entzündlichen Veränderungen bei einer Bechterewschen Erkrankung im Röntgenbild darstellen lassen, lassen sich die Veränderungen bei einer Blockierung des ISG nicht bildlich darstellen. Sie können nur klinisch nachgewiesen werden. Zur Diagnose stehen verschiedene Testverfahren zur Verfügung, die allerdings nicht immer eindeutig zu interpretieren sind und eine hohe Erfahrung seitens des Untersuchers erfordern.
Chirotherapie und auf jeden Fall Krankengymnastik/Physiotherapie
Die Behandlung erfolgt nach der auslösenden Ursache. Entzündliche Veränderungen gehören in die Hand des rheumatologisch erfahrenen Arztes. Blockierungen dagegen sollten manualtherapeutisch gelöst werden. Dabei wird die Beweglichkeit des betroffenen Bereiches entweder durch vorsichtiges Dehnen verbessert oder das Gelenk wird durch eine schnelle Manipulation, die allerdings gekonnt sein muss, wieder in die richtige Stellung gebracht.
Schmerzmittel sind bei Veränderungen im ISG oft nicht besonders wirksam. Allerdings berichten einige von guten Erfahrungen mit der Injektion von schmerzstillenden Substanzen direkt in das betroffene Gelenk. In jedem Fall unverzichtbar ist eine anschließende Physiotherapie.
Unter der Anleitung einer erfahrenen Krankengymnastin oder eines Physiotherapeuten sollten spezielle dehnende Übungen erlernt werden, die die Muskelspannungen in den Muskeln, die die Blockierung unterhalten, reduzieren. Allerdings müssen diese Übungen regelmäßig und auf Dauer durchgeführt werden, wenn man ein Wiederauftreten der Gelenkblockierung vermeiden will.
Prognose meist gut
Bei akuten Affektionen des ISG ist die Prognose meist sehr gut, insbesondere nach Manueller Therapie. Auch spontane Besserungen kommen vor. Je länger die Blockierung allerdings besteht und umso häufiger sie auftritt, desto unsicherer
wird die Prognose. Im Alter lassen die Beschwerden aber in der Regel nach, denn es kommt meist zu einer (heilsamen) Versteifung des Gelenks. Wie der Verlauf bei einem Morbus Bechterew sein wird, ist individuell sehr unterschiedlich und lässt sich kaum mit Sicherheit voraussagen.
Dr. Wolfgang Czichon / Arzt für Orthopädie
Chirotherapie, Osteopathie, Akupunktur,
spezielle Schmerztherapie, Sportmedizin, Präsident der DGMSM
Deutsches Facharzt-Zentrum,
Tel. 971 685 333 – www.dfz.es