Als ich Anfang der 2000er meine erste Autoren-Homepage erstellte, schwelgte ich in Fiebervisionen darüber, wie dieser Anschluss an die Weltöffentlichkeit meinen Namen in stratosphärische Prominenz katapultieren würde. Das klappte nicht vollumfänglich. Ein Analyse-Tool führte mir tagtäglich kalt vor Augen, dass die Zahl der Besucher und Zugriffe im einstelligen Bereich dümpelte, obwohl meine Web sowas von cool war. Bis ich mir eines Tages im Frühsommer 2008 die Augen rieb: Schlagartig zeigten die Grafiken einen dramatischen Ansturm. Kurz suhlte ich mich in Triumphvisionen. Allerdings hatten die täglich Tausenden Web-Besuche in der Realität keinerlei Auswirkungen. Weder bildeten sich Menschenschlangen vor meiner Haustür noch wurde ich von Medienanfragen überrannt. Bald verzichtete ich auf die Tarnung meiner Identität in der Öffentlichkeit (Sonnenbrille, tief ins Gesicht gezogene Schirmkappe, falscher Schnurrbart) und stellte ebenso erleichtert wie enttäuscht fest, dass sich um mich herum keine Trauben hysterischer Fans bildeten.
Woher aber der Web-Besucher-Boom? Die Antwort meine ich in einem Artikel über die Maßnahmen gefunden zu haben, die das Regime von Peking im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele 2008 ergriff, um die große Internet-Mauer zu perfektionieren. Dabei wurden sämtliche Websites der Welt auf chinafeindliche Inhalte geprüft und gegebenenfalls gesperrt. Quasi eine virtuelle Hausdurchsuchung. Mit Ende der Spiele war der Spuk vorbei und das Reich der Mitte verlor sein Interesse an mir.
Mittlerweile habe ich meine Homepage neu gestaltet und verfolge neuerlich die Statistiken. Mit realistischen Erwartungen. Die Analyse-Tools zeigen mir u.a., in welchen Ländern meine Web Furore macht. Überraschung: Obwohl ich noch keine fremdsprachige Bücher veröffentlicht habe, scheinen sich vor allem User aus den USA, China, Hongkong und Korea für mich zu interessieren. Die Zugriffe aus Deutschland, Österreich, Schweiz sowie Spanien sind zwar erfreulich, weil klar über Null, stellen jedoch im Vergleich eine Minderheit dar. Die Idee, dass sich außerhalb des deutschsprachigen Raums massenhaft Leser an meinen Werken laben, ist eine wohltuende Illusion. Die wahrscheinlichere Erklärung ist, dass jemand auch anhand meiner im Internet veröffentlichten Ergüsse seine Programme für künstliche Intelligenz trainiert. Oder wie erklärt sich sonst, dass meine Web zum Beispiel an einem einzigen Tag im April mehr als 4.200 Mal von einem Computer in Hanover (USA) besucht wurde?
Kleine Recherche, großes Aha: Das Städtchen Hanover ist der Sitz einer der wichtigsten Elite-Universitäten der Vereinigten Staaten und gilt als Geburtsort des Forschungsgebiets der künstlichen Intelligenz. Dort trafen sich im Sommer 1956 Wissenschaftler zum so genannten „Dartmouth Workshop“, bei dem der Begriff der „Artificial Intelligence“ erstmals als Überbegriff für die Idee lernender Maschinen geprägt wurde. Tja. Anscheinend bin ich ungefragt und ehrenamtlich zum Mitarbeiter jener technischen Revolution avanciert, für deren Produkte wir in vielerlei Weise bezahlen werden. Was tun? Web abschalten und Flugblätter verteilen? Darüber denke ich ernsthaft nach. Bis dahin wärmste Grüße an meinen Fanklub in Hanover!
Thomas Fitzner ist Journalist und Romanautor (u.a. „Deine fremde Tochter“). www.thomasfitzner.com