Lokales Marc Fischer 30/05/2022

Volle Bude und viel Meer: Die große Tradition der kleinen Chiringuitos

Chiringuitos auf Mallorca , gestern, heute und morgen

Volle Bude und viel Meer: Die große Tradition der kleinen Chiringuitos

Strandbuden begeistern Generationen von Badegästen. Ob kühles Eis am Stiel, ein erfrischendes Getränk, oder der Snack
für Zwischendurch: Im Angebot der Chiringuitos wird jeder fündig. Doch immer mehr Strandbuden droht das Aus.

Wer hat’s erfunden? Nein, diesmal waren es nicht die Schweizer. Auch, wenn der Kiosk am Matterhorn, der einst Bergsteiger Reinhold Messner in die „versteckte Kamera“ tappen ließ, noch vielen in bester Erinnerung geblieben sein dürfte, handelt es sich bei den Chiringuitos um eine Erfindung aus Spanien. Oder zumindest fast aus Spanien.

Die Wiege der Strandkioske
Es geschah im beliebten Badeort Sitges an der Costa del Garraf. Ab Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich hier der Tourismus. Mit dem Bau der Eisenbahnlinie von und nach Barcelona und dem Aufkommen der ersten medizinisch-therapeutischen Bäder, entschieden sich immer mehr Urlauber aus der katalanischen Hauptstadt für die Sommerfrische im nur knapp 40 Kilometer entfernten Seebad. Die zahlreichen, feinsandigen Strände luden zum Baden und Entspannen ein.

Was fehlte, war der kulinarische Aspekt in direkter Nähe zur Playa. Natürlich besaß Sitges im Ortskern eine hübsche Auswahl an Cafés und Restaurants. Doch den Badegästen sollte mehr geboten werden. Lange Zeit war man sich uneins, wie man die Strandbesucher buchstäblich auf den Geschmack bringen konnte.

Ein findiger Kapitän
Die rettende und bis heute wunderbare Idee hatte schließlich Capitán Calafell, ein weitgereister Seemann mit kubanischen Wurzeln. Er eröffnete im Jahre 1913 den ersten Strandkiosk, direkt an der Promenade von Sitges.

Kaffee auf Kubanisch
Auch der Name „Chiringuito“ geht auf Calafell zurück. Mit dem Begriff „chiringo“ oder, wenn er klein sein sollte, „chiringuito“, bestellten die Kubaner einst ihren Kaffee. Für Capitán Calafell, der eine enge Verbindung zu seiner Heimat im Herzen trug und den kleinen Schwarzen als führenden Artikel im Angebot hatte, war schnell klar, dass es sich bei seinem Kiosk eben nicht nur um einen Kiosk, sondern eben um einen Chiringuito handeln sollte.

Die Begeisterung war groß: Endlich ein Lokal in direkter Strandnähe. Schnell zu erreichen, ohne viel Schnickschnack, dafür aber mit allen wichtigen und leckeren Dingen, nach welchen einen Badegast gelüstet.

Journalistische Inspiration
Das Konzept ging auf. Mehr noch: Es stieß auf mediale Begeisterung. Dafür musste Capitán Calafell nicht einmal in Werbung investieren. Die beste Werbung waren er selbst und sein Chiringuito. Die blau-weiß gestrichene Strandbude wurde zum kreativen Zentrum des Journalisten César González Ruano.

Über fünf Jahre verfasste Ruano hier seine Artikel und Reportagen, unter anderem für die renommierte Zeitung „La Vanguardia“. Darüber hinaus schrieb er ein Buch mit dem Titel „Huésped del mar“ („Meeresgast“). Inspiriert von Sonne, Meer und Sand, dem starken Kaffee Calafells und der gemütlichen Atmosphäre, sprudelte es offenbar nur so aus dem Journalisten und Autor heraus.

Einfache Holzbuden
Noch heute erinnert eine Gedenktafel im ersten Chiringuito in Sitges an Ruano. Der wiederum dankte geradezu philosophisch seinem „Quell‘ der Eingebung“. In seinen Memoiren erinnert sich Ruano an seine Aufenthalte im „El Chiringuito“ mit überaus warmen Worten: „Ein fremd wirkendes Stück im Sand, wie ein Glaspavillon, in dem es mir schien, als könnte ich jeden Morgen schreiben“.

Auf Mallorca entstanden in den 60er Jahren die ersten Chiringuitos. „Krone“-Wirtin Beatrice Cicciardini erinnert sich an einfache Holzbuden, die ohne jegliche Lizenz in Ses Covetes von findigen Mallorquinern aufgebaut und betrieben wurden. Mit dem Kauf der Strandbars an der Playa de Palma durch ein großes Unternehmen sei das Flair der einstigen Chiringuitos in der Touristenhochburg verlorengegangen, sagt Cicciardini wehmütig.

Sommerfeeling
Chiringuitos prägen das Bild vieler Strände, gehören für nicht wenige Menschen zu einem Badeaufenthalt dazu. Liebevoll eingerichtet und geführt sind sie Anlaufstelle für den kleinen Hunger und den großen Durst. Sie ersparen Kühltasche und Proviantbox, in denen das Mitgebrachte viel zu schnell auf unangenehme Temperatur gebracht wird. Die Cola aus der Flasche schmeckt nach Zucker und Sonnencreme, im Schokoriegel knirscht das ein oder andere Sandkorn. Ganz egal – es ist Sommer, und man is(s)t am Strand.

Ob Pablo oder Juan, ob Maria oder Dolores – mit Besitzern von Strandbuden wird bei einem cortado oder einem agua minerale schnell Freundschaft geschlossen. Man liebt den frischen Fisch und den knackigen Salat, weit entfernt von Auszeichnungen, dafür schmackhaft und liebevoll zubereitet. Chiringuitos sind nicht nur ein Stück Spanien, sie sind ein Stück Urlaub, in dem man dem Alltag entfliehen kann.

Dieser Alltag trifft einige Chiringuitos nun mit aller Härte. Bedingt durch Gesetzesauflagen und Umweltaspekte droht vielen Strandbuden das Aus. Vielleicht hatte Ruano doch Recht? „Ein fremd wirkendes Stück im Sand“… – Nein, ich bin mir sicher, er hatte es anders gemeint.