100 Tage Rechtspakt auf den Balearen

100 Tage Rechtspakt Mallorca

Man spricht kein Katalanisch: Mallorca und die Nachbarinseln streiten um die Sprachpolitik an Schulen. Für Marga Prohens & Co. läuft es nicht mehr so rund

Während Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez über eine umstrittene Amnestie für katalanische Separatisten verhandelt und für sein Vertrauensvotum im Parlament Zeit bis zum 27. November hat, um Neuwahlen zu vermeiden, amtiert auf Mallorca und den Nachbarinseln inzwischen seit über 100 Tagen der Rechtspakt von Marga Prohens (PP).
Trotz eines schwierigen Duldungsabkommens mit den Rechtspopulisten von Vox war die konservative Minderheitsregierung fulminant in die Legislaturperiode gestartet, hatte unter anderem die Erbschaftssteuer und die Katalanisch-Pflicht für Mitarbeiter im Gesundheitswesen abgeschafft. Ärger gab es nun unerwartet zum Abschluss der ersten 100 Tage an der Regierung, denn Vox stimmte nach einem Streit um die Sprachpolitik an den Schulen überraschend mit der linken Opposition und kippte den Haushaltsrahmen der Konservativen vorerst. Die Verabschiedung des endgültigen Budgets für 2024 wurde damit zunächst in Frage gestellt – ein einmaliger Vorgang in der über 40-jährigen Geschichte der Autonomen Region.

Im Streit um die Schulpolitik geht es um freie Sprachwahl zwischen Spanisch und Katalanisch, die Vox bis zur 8. Klasse ab dem Schuljahr 2024/25 einführen will. Eine gerade auch unter internationalen Residenten durchaus populäre Maßnahme, die aber technisch nicht leicht umzusetzen ist. Die PP will die freie Wahl zunächst nur für Grundschulen bis zur 4. Klasse anbieten und für ältere Kinder erst bis zum Ende der Wahlperiode nachziehen. Dagegen wehrt sich Vox vehement und stellte fordernde Resolutionsanträge im Balearen-Parlament, die die PP jedoch unter technischen Vorwänden ins Leere laufen ließ.
Man will sich in der wichtigen Frage nicht von Vox die Fristen diktieren lassen und die Fäden im Ministerium in der Hand behalten, da eine überstürzte Umsetzung sehr teuer ausfallen könnte und das Zeug dazu hat, auf Mallorca und den Nachbarinseln einen neuen Sprachenstreit anzuzetteln. Just wegen der Sprachpolitik an Schulen war im Jahr 2015 der konservative Balearen-Präsident José Ramón Bauzá nach Massenprotesten von „Grünhemden“ abgewählt worden. Marga Prohens wird dagegen ein freundlicheres Verhältnis zu ihrer katalanischen Muttersprache nachgesagt.

Streit bei Vox


Man darf also gespannt sein, was nun passiert. Beobachter glauben jedoch, dass Konservative und Rechtspopulisten ihre Differenzen am Ende ausräumen können, obwohl bei Vox intern der stv. Fraktionsvorsitzende Xisco Cardona und die parlamentarische Geschäftsführerin Carla Sarabia über den Streit gestürzt wurden, weil sie für Kompromisse mit der PP eingetreten waren und entsprechende Vorgaben der nationalen Parteiführung befolgen wollten. Hardliner um Jorge Campos, der inzwischen in Madrid im Parlament sitzt, sollen bei Vox nun das Sagen haben. Manche behaupten allerdings, dass es in der Auseinandersetzung eher um die Kontrolle der Fraktions- und Parteifinanzen gehen soll.
Zu den erfolgreichen Maßnahmen der konservativen Minderheitsregierung gehört dagegen die Abschaffung der Kita-Gebühren für 0 bis 3-Jährige. 141 Millionen Euro werden dafür bis 2027 investiert, die Finanzlage der Balearen bietet dafür genügend Spielraum.

Ein weiteres Projekt, ist das neue Dekret gegen die Wohnungsnot. Vorgesehen ist unter anderem, dass mehr in die Höhe gebaut werden darf und dass Ladenlokale zu Wohnungen umgewandelt werden können. In beiden Fällen soll eine Preisbindung gelten und die Zusammenarbeit mit der Privatwirtschaft Wohnraum schaffen. Das Dekret gilt bereits, doch bis etwas zu spüren ist, könnte es dauern.

Bei der Abschaffung der Erbschaftssteuer muss unterdessen nachgebessert werden, damit auch Nichtresidenten in den Genuss der neuen Vergünstigung kommen können. In der Verwaltungspraxis können sie laut Rechtsanwälten aber schon jetzt davon profitieren, während eine ebenfalls angekündigte Reform mit kleinen Erleichterungen bei der Einkommenssteuer weiter auf sich warten lässt. Auch bei der Abschaffung der unbeliebten VAO-Busspur auf der Flughafen-Autobahn gibt es noch keine Fortschritte, da hier das Verkehrsministerium in Madrid mitzureden hat. Hingegen wird auf Palmas Ringautobahn Via Cintura das Tempolimit von 80 auf 100 erhöht, und es entstehen demnächst an einigen Punkten neue Fahrspuren zur Entzerrung der vielen Staus.

Korruptionsverdacht


Umstritten ist darüber hinaus die zum Jahresende angekündigte Schließung der Korruptionsbehörde. Die Vermögensverhältnisse von Politikern und Amtsträgern sollen nicht mehr veröffentlicht, sondern nur noch im Parlament vorgelegt werden. Auch die Möglichkeit zu anonymen Korruptionsanzeigen wird entfallen. Einen Beigeschmack bekommt das auch durch das direkte Umfeld von Marga Prohens, denn mit Sebastià Sureda war ein Geschäftspartner ihres Vaters zum Leiter des Katastrophenschutzzentrums ernannt worden. Statt Ende August bei einem schweren Unwetter die Einsatzkräfte zu koordinieren wurde er in einem Café gesichtet und daraufhin öffentlich kritisiert. Nun ermittelt die Antikorruptionsbehörde vor ihrer Schließung auch noch gegen ihn, weil er als Baudezernent in Campos illegale Industrie- und Lagerhallen auf landwirtschaftlichem Grund genehmigt haben soll. Sureda und der Vater von Marga Prohens waren in der Gemeinde im Südosten Mallorcas in einem gemeinsamen Anwalts- und Verwaltungsbüro (Gestoría) tätig.

Es holpert also für Konservative und Rechte, die Ende Mai auf Mallorca gewonnen hatten, im Juli aber die vorgezogenen spanienweiten Wahlen verloren. Ins Fäustchen lachen kann sich möglicherweise die abgewählte sozialistische Balearen-Präsidentin Francina Armengol (PSOE). Sie ist mittlerweile Abgeordnete in Madrid und konnte an der Seite von Pedro Sánchez zur einflussreichen Parlamentspräsidentin avancieren. Nach wie vor pendelt sie zwischen Mallorca und der Hauptstadt, hat bei protokollarischen Anlässen aufgrund ihrer Position im dritthöchsten Staatsamt nun sogar Vorrang vor Marga Prohens (PP). Armengols erklärtes Ziel ist es, spätestens 2027 zur Nachfolgerin ihrer Nachfolgerin zu werden. Machen Konservative und Rechtspopulisten so weiter wie in den letzten Wochen, könnte es womöglich auch schneller gehen. Aber auch Pedro Sánchez hat seine Bestätigung als spanischer Ministerpräsident bis zum 27. November noch nicht sicher. Sollte er scheitern, drohen Neuwahlen. Politische Unsicherheit beginnt sich im ganzen Land breit zu machen. Dennoch scheint die Stimmung nicht so vergiftet zu sein wie aktuell in Deutschland.