Singen Sie schon, oder diskutieren Sie noch?
Als die Puffmama noch Joana hieß und es niemanden interessierte
Sommer. Da rinnen Schweißperlen über nackte, braungebrannte Haut. Unbekleidete Körper voller Gier nach Wärme aalen sich im weißen Sand. Dazu erklingen in unserem Unterbewusstsein Lieder der Sehnsucht. Lassen Sie uns in subtil rhetorisch-erregenden Textzeilen schwelgen: „Geboren um Liebe zu geben, verbotene Träume erleben, ohne Fragen an den Morgen.“ Da legen wir doch gerne noch eine Schippe drauf: „Nachts an deinen schneeweißen Stränden, hielt ich ihre Jugend in den Händen. Heiß war ihr stolzer Blick, und tief in ihrem Inneren verborgen, brannte die Sehnsucht, den Schritt zu wagen vom Mädchen bis zur Frau.“
Plopp. Ende der Spende. Sauerei. Das geht gar nicht! – Moment! Geht nicht? Gibt’s nicht! Zumindest nicht im Schlager. Genau das waren nämlich die Lieder unserer Kindheit und Jugend. Sie begleiteten uns durch die 70er und 80er Jahre. Ist niemandem aufgefallen. Welch‘ glückliche Fügung.
Noch immer gehört Schlagerikone Roland Kaiser zu den hochgelobten und mehrfach ausgezeichneten Künstlern der Branche. Zugegeben, seine Anzüge sind inzwischen maßgeschneidert, die Frise sitzt, und er strahlt nunmehr die gewisse Reife des Alters aus. Doch noch immer geht es in seinen Texten hoch her: Ob horizontal oder senkrecht, ob Hotelzimmer oder Strand – Roland hält textlich, was Kaiser seit Jahrzehnten musikalisch verspricht: Eindeutig zweideutige Phantasiewelten, untermalt von beschwingten, tanzbaren, eingängigen Melodien. Keine Sau, geschweige denn, Puffmama, hat sich jemals darüber echauffiert.
Apropos Puffmama. Die heißt weder „Santa Maria“ noch „Joana“, sondern schlicht „Layla“. Sie ist zudem „schöner, jünger, geiler“. Klar, der Vergleich hinkt, denn man weiß nicht, gegenüber wem oder was die Steigerung erfolgt. Die Frau ist halt einfach nur geiler. Mehr nicht. Kommt zumindest dem Refrain zugute.
Ein Schelm ohnehin, wer innerhalb von Partysongs nach Unstimmigkeiten sucht. Wenn ich allerdings „Layla“ direkt neben „Joana“ lege – und, liebe Leserinnen und Leser, ich meine das jetzt wirklich rein metaphorisch –, dann erkennen wir, wie arglos doch die aktuell allseits gerügte Puffmutter daherkommt. Bei „Layla“ erschallen während des Refrains nicht einmal Rufe, wie „Du geile Sau“, „Du Luder“, oder „Du Drecksau“. Das passiert nur bei „Joana“. Tatsache. Muss man sich mal klarmachen.
Aber schön, dass wir drüber sprechen. Über „Layla“, meine ich. Das Klima fliegt uns um die Ohren, der Despot aus Moskau dreht den Gashahn zu, und Lewandowski hat die Bayern verlassen. Wer vor dem Hintergrund dieser wirklich bedeutsamen Probleme Zeit und Muße findet, über einen dumpfen Partysong zu diskutieren, ist entweder aus der Zeit gefallen, oder hat diese in gleichsam unendlicher Menge übrig. Zumindest zeugt es von Gelassenheit, die viel zu wenige Menschen an den Tag legen.
Nein, über Geschmack muss man bekanntlich nicht streiten. Ich halte hier, weiß Gott, auch kein Plädoyer für unterirdisches Liedgut. Wer „Layla“, „Santa Maria“ oder „Joana“ braucht – also musikalisch -, dem sei es gegönnt. Der Rest vom Schützenfest kann seine persönliche Qualitätsoffensive starten. Jeder hat schließlich die Wahl zwischen Händel oder Streit.