IZ-Kolumne von Lutz Minkner Dezember 2023
Spaniens neue Regierung: Machterhalt um jeden Preis!
Spanien hat eine neue Regierung und behält den alten Ministerpräsidenten Pedro Sánchez. So weit, so gut. Warum aber gehen in Spanien Hunderttausende auf die Straßen und protestieren mit Plakaten, die Sánchez als korrupten Betrüger und Hochverräter bezeichnen und ihn des Verfassungsbruchs bezichtigen?
Nun, die Regierungsbildung war ein zähes Ringen und kann als bizarr bezeichnet werden. Das Wahlergebnis wies zunächst die konservative PP als Wahlsieger aus. Deren Vorsitzender Feijóo gelang es jedoch nicht, eine Mehrheitskoalition auf die Beine zu stellen. Schlussendlich fehlten ihm vier Stimmen, so dass Pedro Sánchez die Chance erhielt, mit den linken und nationalistischen Restparteien eine Mehrheit zu finden. Dazu brauchte er allerdings die sieben Stimmen der katalanischen Partei Junts und des katalanischen Separatistenführers Carles Puigdemont. Verhandlungen mit denen hatte Sánchez ursprünglich ausgeschlossen, da er eine Amnestie der Separatisten für inakzeptabel und mit der Verfassung nicht vereinbar hielt. Doch Sánchez erinnerte sich an den Adenauer zugeschriebenen Satz „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ und suchte den Kontakt zu Puigdemont. Und Puigdemont, der nach dem illegalen Unabhängigkeitsreferendum die Flucht ins Ausland in einem Kofferraum einem gerichtlichen Verfahren vorzog, bot sich sogleich als Steigbügelhalter an. Ein mit Haftbefehl gesuchter Putschist als Königsmacher? Keine guten Voraussetzungen für eine stabile Regierung.
Junts und Puigdemont ließen sich dann auch ihre Zustimmung teuer bezahlen, nämlich durch eine Amnestie für etwa 1.400 verurteilte Separatisten und die Zusage, einer erneuten Volksabstimmung für die Unabhängigkeit Kataloniens nicht im Wege zu stehen. Und als Draufgabe gab es noch einen Schuldenerlass, nach dem Katalonien der spanischen Nation 14 Milliarden Schulden nicht zurückzahlen muss. Und als Draufgabe gab es noch die Eigentumsübertragung des gesamten regionalen Schienennahverkehrs an die katalanische Regionalregierung. Diese anrüchige Kumpanei forderte zu Widerspruch, zu Protesten geradezu heraus.
In einer Front versammelten und versammeln sich nicht nur Politiker und Anhänger der Konservativen, sondern auch Wähler der Linken, die sich getäuscht sehen. Darüber hinaus werden die Demonstrationen auch von wichtigen Organisationen und Verbänden, die als politisch neutral angesehen werden, nämlich den vier großen spanischen Richterverbänden, dem Generalrat der spanischen Judikative, dem Verband der Staatsanwälte, der internationalen Juristenvereinigung und Vereinigungen der Professoren für Verfassungsrecht und Politik, begleitet und unterstützt.
Die Protestierer stützen sich auf folgende Argumente:
Die Zusammensetzung der jetzigen Regierung würde in drastischer Weise dem Wählerwillen widersprechen. Die Verlierer würden sich als Gewinner gerieren. Daran ist immerhin so viel wahr, dass die konservative PP in 12 der 17 Autonomen Regionen den Ministerpräsidenten stellt. Dagegen haben alle kleinen Koalitionsparteien die Wahlen verloren. Selbst die separatistischen Parteien ERC und Junts hatten in ihren Regionen Stimmverluste erlitten. Und dennoch setzten sie sich bei den Verhandlungen mit ihren Maximalforderungen durch. So sollten Koalitionsverhandlungen in einem demokratischen Rechtsstaat nicht laufen: Statt Verhandlung, Erpressung. Und Machterhalt um jeden Preis.
Die spanischen Juristenverbände sind im Übrigen der überwiegenden Meinung, dass ein Gesetz mit einer Generalamnestie verfassungswidrig ist, weil die spanische Verfassung eine solche Generalamnestie nicht vorsieht. Eine Mindermeinung vertritt, dass ein solches Gesetz zumindest einer breiten parlamentarischen und auch gesellschaftlichen Debatte bedürfe und keineswegs durch Eilgesetz – wie geschehen – durch das Gesetzgebungsverfahren gepeitscht werden dürfte. Im Übrigen setze nach ständiger Rechtsprechung eine Begnadigung Reue des Täters voraus und die Zusage, derart aufrührerische Taten nicht zu wiederholen. Die Täter zeigen jedoch weder Reue und halten an ihren separatistischen Bestrebungen fest.
Und ein weiteres Argument werfen die spanischen Juristen in die Diskussion: Der willkürliche Schuldenerlass zugunsten des wohlhabenden Kataloniens verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz, der für die Autonomen Regionen gilt. Diese Summe könne nur gestemmt werden, wenn ärmere Regionen stärker mit Abgaben belastet würden. Das hätte nicht nur eine weitere Verschuldung der ärmeren Regionen zur folge, ihnen würden dann auch Investitionsmittel fehlen, die ihnen einen Anschluss an die wohlhabenden Regionen ermöglichten.
Und nun das Beste: ERC und Junts haben angekündigt, jede einzelne Zustimmung zu von Sánchez eingebrachten Gesetzen von dem „Fortschritt und Umsetzungsgrad“ ihrer Maximalforderungen abhängig zu machen. Das erpresserische Spiel soll also fortgesetzt werden.
Wie wird es weitergehen? Ein längeres Überleben der Sánchez-Koalition wird von Experten für unwahrscheinlich gehalten, obwohl sie es lange versuchen wird. Die Alternative wären Neuwahlen, und bei denen würde, folgt man aktuellen Umfragen, das Linksbündnis abgestraft werden. Außerdem bleibt der Rechtsweg: Wenn das spanische Verfassungsgericht das Amnestiegesetz aufhebt, könnte Sánchez seine Zusagen an ERC und Junts nicht einhalten, die Koalition wäre gescheitert. Allerdings besteht das Verfassungsgericht derzeit aus Sánchez-Freunden. All dies verbraucht Energien, die besser für die wirklichen Probleme Spaniens in der Wirtschaft, im Sozialen, in der Sicherheitspolitik und im Verhältnis des Nationalstaats zu den Autonomen Regionen verbraucht werden könnten und müssten. Es bleibt jedenfalls spannend in Spanien.
Lutz Minkner ist Managing Partner des Immobilienunternehmens Minkner & Bonitz.
Er blickt auf eine 45 jährige berufliche
Tätigkeit als Rechtsanwalt, Dozent, Fachbuchautor und Unternehmer zurück.
www.minkner.com