Mallorca auf dem Weg nach oben: Von Gipfelstürmern und Wandervögeln
Mallorca auf dem Weg nach oben: Von Gipfelstürmern und Wandervögeln
„Wer richtig reisen will, soll zu Fuß gehen“, sagte einst Jean Jacques Rousseau. Seinen Rat befolgen viele Tausend Mallorca-Urlauber,
die nicht zum Sonnenbaden, sondern zum Wandern auf die Insel kommen. Rucksack und festes Schuhwerk bieten längst eine
modische Alternative zu Flipflops und T-Shirt. Aus gutem Grund: Mallorca ist einfach „wanderbar“.
Die Frage nach Blasenpflastern für wundgelaufene Füße lässt heutzutage keinen mallorquinischen Apotheker mehr verzweifelt in den Regalen suchen. Entsprechende Produkte gehören, neben der Salbe gegen leichte Verstauchungen und bequemen Einlegesohlen, längst zum Standard-Repertoire einer Farmacia auf der Insel. Dass der Tourismus auf Mallorca Hand in Hand mit der Entwicklung der Insel zu einer beliebten Wanderdestination einherging, ist allerdings nicht erkennbar. Wandertourismus und Mallorca – diese beiden Dinge mussten erst behutsam zueinander finden. Daran hatte Diktator Franco – zumindest am Anfang – ausnahmsweise mal keine Schuld. Der Grund lag schlicht und einfach in der Geographie.
Wandern lag in weiter Ferne
Eine Insel im Mittelmeer kann mit dem schönsten Hinterland und den prächtigsten Bergregionen aufwarten – im Fokus des touristischen Interesses stehen nun einmal Meer, Strand und Sonne. Das galt natürlich auch für Mallorca, insbesondere zu Beginn des Tourismus. Die ersten ausländischen Gäste kamen Anfang des 19. Jahrhunderts auf die Insel. Die hauptsächlich britischen Pensionäre setzten auf Sommerfrische und angenehme Temperaturen im Winter. Das hatten sich die von Regen und Schmuddelwetter gezeichneten Seniorinnen und Senioren vom Ärmelkanal sehnlichst gewünscht und verdient. Das Naturschauspiel der Serra de Tramuntana mit ihren anspruchsvollen Wegen und Pfaden rückte – buchstäblich – in weiter Ferne. Das Gute lag eben näher und beschränkte sich auf einen bequemen Liegestuhl, gepflegte Spaziergänge, und spannende Lektüre.
Dieses Image Mallorcas bei Reisenden hielt sich fast 100 Jahre. Zu Begin des vergangenen Jahrhunderts fanden sich schließlich Einheimische zusammen, die ihre Heimat Mallorca auf andere Weise kennenlernen wollten: Zu Fuß, gut ausgerüstet und auf bis dato häufig unbekannten Wegen. Seit 1912 ist eine „Wanderbewegung“ auf Mallorca dokumentiert, die von Kathrin Bremer in ihrer inzwischen über 20 Jahre alten Diplomarbeit liebevoll beschrieben wird.
Auf vorhandenen Pfaden
Bremer geht allerdings davon aus, dass es schon früher erste Mallorquiner gab, die das Wandern für sich entdeckten. Sie fand heraus, dass die Aktiven auf bereits damals vorhandenen Wegen unterwegs waren. Es handelte sich um ehemalige Pilgerwege, oder um Pfade, die von Köhlern, Holzfällern und Kalkmachern genutzt wurden. Zwischen Esporles und Banyalbufar führte sogar ein alter Postweg über die Tramuntana; die Strecke ist noch heute bei Wanderern überaus beliebt.
Der Weg zur Wanderinsel
Ob die „Entdeckung“ Mallorcas als touristische Wanderdestination von Einheimischen ausging, oder das Interesse im Laufe der Zeit von außen geschaffen wurde, ist unklar. Kathrin Bremer hatte für ihre Recherche zur Diplomarbeit in einer Befragung rund um die Jahrtausendwende festgestellt, dass der Großteil der Wanderer Deutsche waren. Damals seien nur wenige Mallorquiner anzutreffen gewesen, so die Wanderexpertin und Trainerin für Interkulturelle Kommunikation & Nachhaltigkeit. Bremer geht daher davon aus, dass das Interesse am „wanderbaren“ Mallorca von außen be- und gefördert wurde.
Traditionelles Wegerecht
Mit Blick auf die Wanderrouten, die seit Jahrhunderten genutzt werden, gab und gibt es auf Mallorca besondere Regelungen, die jeder Ausflügler kennen sollte. Die Rede ist vom „traditionellen Wegerecht“. Nicht weniger der heute genutzten Pfade führen, ganz legal, über Privatgrundstücke. Das hat schon manchen Eigentümer überrascht. Das prominenteste Beispiel ist sicher Claudia Schiffer, die vor vielen Jahren ihr Grundstück in der Nähe von Cap Andritxol im Westen der Insel gekauft hatte und sich plötzlich Wanderern gegenüber sah, die häufig und gerne die Schifferschen Ländereien durchquerten.
Lösungen für freie Wege
„Man hat inzwischen recht kreative Lösungen gefunden“, erklärt Kathrin Bremer. „Nur wenige Grundstückseigentümer sperren ihre Wege.“ Der Rundweg am Puig Roig ist zum Beispiel nur sonntags möglich; für die Nutzung des einstigen Reitweges von Erzherzog Ludwig Salvator bedarf es einer vorherigen Genehmigung.
Um der Willkür entgegenzuwirken, gibt es inzwischen mehrere Organisationen auf Mallorca, die sich für das öffentliche Wegerecht einsetzen. Eine davon ist „Camins Oberts“. Kathrin Bremer war schon selbst bei einer der Kundgebungen der Gruppe dabei. „Es ging um die Sperrung eines Wanderwegs bei Son Rapinya“, erklärt sie. Am Ende einigte sich das Rathaus von Palma mit dem verantwortlichen Golfplatzbetreiber auf eine Öffnung.
Im Miteinander leben
Leider führt Diplomatie nicht immer zu einer Lösung. „Teilweise wurden Öffnungen schon vor Gericht erstritten“, weiß die Expertin. So zum Beispiel bei der Finca Es Rafal an der Nordwestküste Mallorcas bei Banyalbufar. Deren Besitzer – ein Brite – musste den Wanderweg über seinen Grund und Boden nach zehn Jahren Gerichtsstreit wieder öffnen.
Nicht jeder Vorbehalt gegenüber Streckenführungen ist reine Willkür. Bei der steigenden Zahl von Wanderern haben viele Grundstückseigner Angst vor Naturschäden und Vandalismus. Das schönste Zeichen, das Ausflügler dem entgegensetzen können, ist Respekt vor der Natur und Achtung vor fremdem Eigentum. Dass Müll nicht in die Landschaft gehört, sollte selbstverständlich sein.
Marc Fischer