Esglesia Nova – Wo der liebe Herrgott kein Dach über dem Kopf hat
Esglesia Nova Son Servera – Wo der liebe Herrgott kein Dach über dem Kopf hat
Die Esglesia Nova in Son Servera ist Mallorcas einziger Openair-Tempel. Der seit 1930 unvollendete Kirchenbau wird heute für religiöse und kulturelle Veranstaltungen genutzt. Architekt war ein Schüler von Antoni Gaudí.
Jaime Mercat dürfte unter den rund 400.000 katholischen Priestern auf der ganzen Welt ein kleines Unikum sein. Als Gemeindepfarrer von Son Servera im Nordosten Mallorcas ist Mercat nämlich das geistliche Oberhaupt von eineinhalb Pfarrkirchen im Dorf. Richtig. Eineinhalb. Also von einer ganzen Kirche und von einer halben. Esglesia Nova heißt Letztere, einer der wohl außergewöhnlichsten Christentempel auf Mallorca, dessen Bau im Jahre 1905 begonnen und 1930 wieder eingestellt wurde. Übrig davon blieben bis zu 25 Meter hohen Außenmauern im neogotischen Stil inklusive Fenster und Rosetten sowie ein überdachter Altarbereich am hinteren Ende mit darüber liegenden Räumlichkeiten. Sowohl Dach, Eingangsportal und das Schiff der Kirche wurden der Vorstellungskraft ihrer Betrachter überlassen. Dennoch ist Jaime Mercat überzeugt, dass es sich bei dem unvollendeten Bauwerk um eine echte Kirche handle. „Die Esglesia Nova ist keine Bauruine, wie viele Leute meinen, sondern ein Gotteshaus“, sagt er. Darauf lege er großen Wert.
Wirtschaftliche Nöte und pharaonische Baupläne
Dass aus seiner halben Kirche keine ganze wurde, ist zwei Dingen gleichermaßen geschuldet: Der miserablen Wirtschaftslage während des Baubeginns zu Anfang des 20. Jahrhunderts. Und den pharaonischen Bauplänen von Joan Rubió, einem Schüler des heute weltbekannten katalanischen Architekten Antoni Gaudí. „Sein Projekt war vollkommen überdimensioniert“, sagt Jaime Mercat. So sahen die Originalpläne unter anderem eine weitere Geschosshöhe vor. „Abgesehen von der dafür benötigten Arbeitszeit zur Fertigstellung wären auch die Materialkosten unkalkulierbar geworden“, meint Mercat. Dass mit den Arbeiten überhaupt begonnen wurden, sei einzig und allein dem unerschütterlichen Gottesglauben der Einwohner von Son Servera geschuldet, die sich freiwillig dazu bereit erklärten, die Pläne von Joan Rubió mit ihren eigenen Händen in die Wirklichkeit umzusetzen. Das ging ungefähr 25 Jahre gut. Danach bremsten wirtschaftliche Not und ein sich am Horizont abzeichnender Bürgerkrieg in Spanien das Vorhaben aus.
Seit den 60er Jahren Touristenattraktion
Erst in den 1960er Jahren wurden die Baupläne der Esglesia Nova wieder aus der Schublade geholt. Ähnlich wie im Falle der von Gaudí entworfenen und bis dahin unvollendet gebliebenen Kathedrale „La Sagrada Familia“ in Barcelona versuchte das Franco-Regime in Son Servera die halbfertige Kirche als Sightseeing-Attraktion für den auf Mallorca langsam einsetzenden Tourismusboom auszuschlachten. „Mit Hilfe von staatlichen Subventionen wurden Ausflüge für ausländische Urlauber zur Esglesia Nova organisiert“, erzählt Mercat. Und mit den Einnahmen die eigentliche Pfarrkirche im Dorf restauriert.
Die beeindruckende Openair-Kirche Esglesia Nova wird heute als Schauplatz für diverse kulturelle Veranstaltungen, Hochzeiten aber auch religiösen Zeremonien genutzt. Sie ist wochentags von 8.30 bis 14 .00 Uhr zugänglich. Samstags und Sonntags den ganzen Tag.