Experten Tipp Dr. Czichon – Spitzenkraft im Nacken
Spitzenkraft im Nacken
Die Halswirbelsäule (HWS) ist der exponierteste und zugleich beweglichste Teil unserer Körperachse. Aufgebaut aus insgesamt sieben Wirbeln und gestützt durch zahlreiche Bänder und Muskeln, sorgt sie für die Balance des Kopfes, der beim erwachsenen Menschen immerhin bis zu sieben Kilogramm wiegt und in alle Richtungen bewegt werden kann.
Die beiden ersten Halswirbel zeichnen sich dadurch aus, dass sie keine Bandscheibe haben. Der oberste Wirbel – nach dem griechischen Mythos Atlas genannt – trägt den Schädel und umfasst den Zahn des zweiten Halswirbels, des Axis.
Eine weitere Besonderheit der HWS besteht darin, dass sie – anders als es bei der Brustwirbelsäule der Fall ist, wo die Wirbel durch Brustbein und Rippen fixiert sind – jede Bewegung abfedern und ausgleichen muss. Kein Wunder, dass es dadurch häufig zu Fehlbelastungen und verschleißbedingten Erkrankungen kommen kann.
Übrigens hat auch die Giraffe – wie alle Säugetiere – nur sieben Halswirbel!
Diagnose HWS-Syndrom
Krankheitsbilder, die sich auf degenerative Veränderungen der Halsbandscheiben zurückführen lassen, werden unter dem Begriff HWS- oder Zervikal-Syndrom zusammengefasst. Dies ist allerdings keine Diagnose, vielmehr lediglich eine Dolmetscherleistung und muss präzisiert werden.
Leider bleibt kaum jemand im Laufe seines Lebens von derartigen Beschwerden verschont. Es handelt sich dabei nicht nur um schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, von denen die Halswirbelsäule – insbesondere der Nacken – selbst betroffen ist, sondern auch um ausstrahlende Symptome wie Muskelverspannungen im Schulter-Nacken-Bereich, Schmerzen in Armen und Händen sowie Kopfschmerzen oder Schwindelanfälle.
Schmerzen strahlen häufig aus
Um zu verstehen, wie es zu derart weitreichenden Auswirkungen kommen kann, muss man sich die enge Nachbarschaft von Halsbandscheiben und Teilen des zentralen Nervensystems und der Gefäße vor Augen halten. Schließlich beherbergt die Halswirbelsäule die Rückenmarkssegmente, die die obere Extremität versorgen. Dementsprechend können krankhafte Veränderungen im HWS-Bereich, die durch Wirbelblockaden, Entzündungen oder auch – was relativ selten vorkommt – Bandscheibenvorfälle hervorgerufen werden, zu einer Reizung von Nerven führen, die für diese Körperregionen zuständig sind. Auch die Arteria vertebralis, die rechts und links der Halswirbelsäule zum Kopf hinführt, steht manchmal im Zusammenhang mit dem Krankheitsgeschehen. Wird sie durch eine Vor- und Rückneigung des Kopfes eingeengt, verschlechtert sich die Durchblutung. Das führt bei chronischer Fehlhaltung zu einer unzureichenden Versorgung von Hirnstamm und Innenohr.
Schonhaltung verschlimmert
Welche Faktoren spielen bei der Auslösung von HWS-Erkrankungen eine Rolle? Häufig sind es Unterkühlungen im Bereich der Schulter-Nacken-Muskulatur, wie sie beispielsweise bei Zugluft – etwa beim Autofahren oder Aufenthalt in klimatisierten Räumen – auftreten. Dann kommt es, oft begünstigt durch eine falsche Körperhaltung, zu einem verstärkten Muskelzug und einer Erhöhung des Drucks auf die Bandscheiben. Dabei hängen die Schmerzen in der Regel von der Position ab, in der sich der Patient befindet. Während sie sich bei bestimmten Stellungen und Bewegungen der Halswirbelsäule intensivieren, lassen sie bei gewissen Entlastungshaltungen nach.
Allerdings sind solche Schonhaltungen auch mit der Gefahr verbunden, dass es zu einem Teufelskreis aus Schmerzvermeidung und -verstärkung kommt. Nicht zu vernachlässigen ist auch eine gewisse psychische Komponente. So tragen Ärger und psychische Belastungen dazu bei, dass sich die Muskulatur von Nacken und Schulter zusammenzieht. Dies kann im Laufe der Zeit chronische Verspannungen hervorrufen.
Die Diagnose beginnt mit der „Inspektion“
Wie filtert der behandelnde Arzt aus der Fülle der verschiedenen Symptome die charakteristischen Merkmale heraus, die die Diagnose eines Zervikalsyndroms nahelegen? Zunächst kann er durch die Beobachtung des Patienten (die medizinische Bezeichnung hierfür heißt Inspektion) wichtige Anhaltspunkte gewinnen – etwa wenn dieser beim An- und Auskleiden seinen Hals steif hält oder Drehbewegungen des Kopfes vermeidet und stattdessen seinen ganzen Rumpf mitbewegt. In der anschließenden manuellen Untersuchung werden Verspannungen der Schulter-Nacken-Muskulatur sowie druckempfindliche Verhärtungen ertastet. Außerdem wird geprüft, bis zu welchem Grad sich der Kopf nach vorn, zurück und zur Seite neigen und drehen lässt. Um zu ermitteln, in welchem HWS-Segment die Schmerzen ihren genauen Ausgangspunkt haben, ist eine sorgfältige manuelle Diagnostik erforderlich, darüber hinaus eine genaue Befragung des Patienten. Dabei geht es beispielsweise darum, wie die Beschwerden mit der jeweiligen Körperhaltung korrespondieren. Eine anschließende Röntgenaufnahme kann zur Vertiefung der gewonnenen Einsichten beitragen, ist aber nicht regelhaft erforderlich. Weiterreichende bildgebende Verfahren wie Elektromyograpie, Computer- oder Kernspinresonanz-Tomographie sind nur dann angebracht, wenn eine Verletzung vorliegt oder die Symptome so schwerwiegend sind, dass eine Operation in Erwägung gezogen werden muss.
Der Schmerzkreislauf muss unterbrochen werden
In den meisten Fällen jedoch kann man den Patienten mit so genannten konservativen Maßnahmen weiterhelfen. In erster Linie bei einer segmentalen Funktionsstörung, im Volksmund „Blockierung“ genannt, eine manuelle Therapie mit Mobilisierung oder Manipulation des betroffenen Segmentes, also eine Be“hand“lung im wahrsten Sinne des Wortes
Weiterhin zählen zur konservativen Therapie Wärmeanwendungen, Schmerzmittel oder isometrische Spannungsübungen, bei denen die Muskeln ohne Bewegung angespannt werden.
Auch eine physiotherapeutische Behandlung, um Muskeldysbalancen auszugleichen und den Patienten zu Eigenübungen anzuleiten, ist angezeigt.
Eine weitere Behandlungsmethode ist die so genannte Wirbelgelenks- oder Facettenblockade, bei der der Schmerz an der Wirbelsäule gezielt und kurzfristig ausgeschaltet wird. Die früher beliebten Halskrausen werden heute nur noch bei echten Instabilitäten eingesetzt, da sie bei längerer Verwendung zu einer Schwächung der Muskulatur führen.
Circulus vitiosus vermeiden
Ziel aller therapeutischen Maßnahmen sollte es sein, den verhängnisvollen Kreislauf aus Schmerz, Verspannung und Fehlhaltung, den sogenannten „Circulus vitiosus“ zu durchbrechen und dem Patienten wieder so viel Mut und Selbstvertrauen zu geben, dass er „erhobenen Hauptes“ durchs Leben gehen kann.
Dr. Wolfgang Czichon / Arzt für Orthopädie
Chirotherapie, Osteopathie, Akupunktur,
spezielle Schmerztherapie, Sportmedizin, Präsident der DGMSM
Deutsches Facharzt-Zentrum,
Tel. 971 685 333 – www.dfz.es