Hart aber Quer: Wenn Politik auf Medizin trifft

Hart aber Quer: Wenn Politik auf Medizin trifft

Kommentar Marc Fischer

Das Berliner Verwaltungsgericht kam im vergangenen Monat zu einem interessanten Urteil. Menschen mit einer einmaligen Corona-Schutzimpfung des Herstellers Johnson & Johnson würden weiter als „vollständig geimpft“ gelten, so die Richter. Damit widersprach das Gericht der Entscheidung des Paul-Ehrlich-Instituts, das zuvor nur einmal Geimpften „Johnson-Patienten“ den vollständigen Impfschutzstatus abgesprochen hatte. Klingt zunächst einmal gut, denn jemandem ohne individuelle Untersuchung eine Immunität abzusprechen, übertrifft sogar den Irrsinn einer Ferndiagnose.
Eigentliche Farce des Urteils ist hingegen seine Begründung: Das Paul-Ehrlich-Institut ist, laut Infektionsschutzgesetz, nicht ermächtigt, über den Status des Immunschutzes zu entscheiden. Diese Hoheit obliege einzig und allein der Bundesregierung, so die Richter in Berlin.

Aus juristischer Sicht ein nachvollziehbares Urteil: Der Gesetzgeber entscheidet inhaltlich über Gesetze und deren Umsetzung. Medizinisch ist der Rechtsspruch geradezu haarsträubend. Die Politik soll in der Lage sein, über den Gesundheitsstatus eines Menschen zu entscheiden? Und das allein auf Basis eines Gesetzes? Sicher nicht.

Die Corona-Situation hat das Gesundheitswesen auf den Kopf gestellt. Wir bewegen uns auf einem überaus schmalen Grat zwischen allgemeiner Gesetzeslage und indivi­dueller Behandlung. Das kann auf Dauer nicht funktionieren und wird mittelfristig Folgen für die Gesundheit von uns allen haben.

Immunität ist messbar. Sie kann diagnostiziert und festgestellt werden. An diesen Grundlagen der Medizin kann weder die Politik im Allgemeinen noch ein Gesundheitsminister im Besonderen rütteln. Ein Immunschutz richtet sich primär nicht nach Zeiträumen. Sechs Monate? Drei Mo­nate? Oder doch lieber neun? Ein Zertifikat als Belobigung für folgsames, aber leider blindes Nachimpfen? – Solange die Impfung gegen Covid-19 nicht endlich als seriöse und individuelle Therapie angesehen wird, hat das Virus gewonnen.


Marc Fischer hat Medizin in Gießen,
München und Tübingen studiert
und arbeitet als Fachjournalist für Gesundheit,
u.a. für Die Inselzeitung