Wenn das Paradies unerträglich wird
Wer auf Mallorca ein neues Leben beginnt, muss sein Altes dafür teilweise im Stich lassen. Das kann mit der Zeit auf die Nerven gehen.
Komm’ nach Mallorca, wenn Du das Paradies ertragen kannst“, schrieb die amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein bereits vor fast 90 Jahren ihrem britischen Berufskollegen Robert Graves. Dass ein vermeintliches Paradies aus Strand, Sonne und südländischem Laissez-Faire insbesondere unter ausländischen Bewohnern oder Teilzeitresidenten tatsächlich unerträglich werden kann, weiß Vanessa Gleede nur zu gut.
Die deutsche Psychologin und Psychotherapeutin behandelt seit 2003 in Palma zahlreiche Auswanderer, die mit ihrem Leben auf der Insel nicht mehr klar kommen. „Viele fühlen sich einsam, verlassen oder ausgegrenzt“, berichtet Gleede. Die Hauptgründe dafür liegen nach Meinung der Psychologin vor allem in mangelnden Sprachkenntnissen und überzogenen Erwartungen. „Wer Mallorca nur im Sommer kennengelernt hat, stellt nach seinem Umzug oftmals erstaunt fest, dass die Insel im Winter ganz anders tickt. Insbesondere dann wenn man auf einer Finca oder in Orten im Hinterland hockt, wo ohne Tourismus der Hund begraben zu scheint“, sagt Gleede. „Und wer mit den Einheimischen außer einem ‘Ohla, ke tall?’ nicht weiter kommunizieren kann, weil er weder Spanisch noch Katalanisch beherrscht, darf sich auch nicht wundern, wenn er sich bereits nach kürzester Zeit als Außenseiter oder Fremdkörper auf Mallorca fühlt“.
Dabei hänge das Gefühl, ein Ausländer zu sein, nicht einmal von der Entfernung zur Heimat ab. „Für viele Deutsche ist der Umzug nach Mallorca eine Art Auswandern-light. Neben den günstigen und zahlreichen Flugverbindungen nach Deutschland exisitiert auf Mallorca eine Parallel-Gesellschaft aus deutschen Supermärkten, deutschen Handelsketten, deutschen Zeitungen, deutschen Events und jeder Menge deutschen Nachbarn.“ Doch Mallorca sei ebenso wenig wie Kanada oder Singapur Deutschland. „Einige Auswanderer stellen erst nach Jahren fest, dass sie ihr altes Leben, ihre Familie und Freunde in der Heimat doch letzendlich im Stich gelassen haben, um unter Sonne und Palmen ein Neues und Besseres zu beginnen. Der einstige Mut zum Auswandern schlägt dann oftmals in Ernüchterung um“, sagt Gleede.
Das Problem einen Partner zu finden
Und dann gäbe es auf Mallorca noch das Problem mit der Beziehungskiste. „Wer auf der Insel einen gleichsprachigen Partner sucht, wird schnell feststellen, dass das Angebot an unterschiedlichen Charaktären und Menschen-Typen doch sehr begrenzt ist“, so die Psychologin. Und wer sich in einen Einheimischen verliebe, tue gut daran, so schnell wie möglich dessen Muttersprache zu beherrschen, um alltägliche „Verständigungsprobleme“ vorzubeugen. Typisch sei auch, dass viele deutsche Mallorca-Residenten im Laufe der Zeit damit beginnen, viele Sachen, die sie aus Deutschland kannten, zu vermissen, beziehungsweise neu wertzuschätzen. „Ob Erziehungs- oder Gesundheitswesen, Sozialversicherung, Service in den Restaurant oder bessere und günstigere Wohnungen: aus der Ferne betrachtet erscheint Deutschland auf einmal viel schöner, ordentlicher und lebenswerter als zum Zeitpunkt der Auswanderung“. Dies führe bei vielen Residenten über kurz oder lang zu dem Wunsch, wieder zurück in die Heimat zu gehen. Doch gerade damit tun sich viele schwer. „Der Rückzug nach Deutschland wird von Auswandern häufig als Misserfolg oder Fiasko angesehen. Motto: Ich habe es nicht geschafft, im Ausland Fuss zu fassen. Jetzt erwartet mich in der Heimat nur Hohn und Spott. Das ist natürlich totaler Quatsch.“ Gleede rät jedem, der auf Mallorca nicht mehr glücklich ist, ernsthaft über einen Umzug zurück nach Deutschland nachzudenken. „Auf die Insel kann man dann ja immer wieder im Urlaub kommen“.
Andreas John
Bild:DanielZanetti