Experten Tipp Dr. Czichon Rückenschmerzen sind kein Schicksal
Die zehn Lügen bei Rückenschmerzen
Weder »böse« Gene noch das Schicksal bescheren uns Rückenprobleme. In den allermeisten Fällen ist das Ganze hausgemacht: Wir bewegen uns zu wenig, essen nicht immer rückenfreundlich und stärken unser Muskel-»Korsett« nicht ausreichend. All diese Faktoren sind zwar noch keine Garantie für einen lebenslang gesunden Rücken, aber die beste Prävention überhaupt.
Heilung heißt Schmerzen lindern
Gerade degenerative Rückenerkrankungen lassen sich nicht wirklich heilen im Sinne von Rückgängigmachen. Weil man nun mal einen in die Jahre gekommenen Körper nicht wieder in den Urzustand versetzen kann. Heilung in der Orthopädie bedeutet vielmehr, den Körper dazu zu bringen, dass er sich mit den neuen Zuständen so arrangieren kann, dass es zu einer Schmerzarmut oder sogar zu völliger Schmerzfreiheit kommt. Das gelingt in 90 Prozent aller Fälle – und zwar ganz ohne Operation. Also gilt: Vorsicht vor diesen Rückenlügen:
Lüge 1: Das muss man operieren
Ein Bandscheibenvorfall ist kein medizinischer Notfall. Und erfordert deshalb auch keine sofortige Operation. Die ist laut Studien nur in 1 bis 4 Prozent aufgrund eines absterbenden Nervs oder eines in der Wirbelsäule sehr selten auftretenden Tumors wirklich notwendig.
Lüge 2: Sie könnten querschnittsgelähmt werden
Ein Hauptargument vieler Operateure, um den Patienten auf den Operationstisch zu bekommen. In meinen über 40 Jahren Erfahrung als Orthopäde habe ich noch nie erlebt, dass ein Bandscheibenvorfall zu einer Querschnittslähmung oder einem Leben im Rollstuhl geführt hätte.
Lüge 3: Ohne Operation wird der Schmerz chronisch
Bei chronischen Rückenschmerzen besteht häufig keine enge Korrelation zwischen dem Grad der Erkrankung und dem subjektiv empfundenen Schmerz. Entscheidend an der Schmerzentstehung mitbeteiligt sind psychosoziale Faktoren wie eine belastende Arbeits- oder Familiensituation und eine daraus resultierende depressive Stimmungslage. Studien haben gezeigt, dass bei Menschen, die sich an ihrem Arbeitsplatz nicht wohl fühlen, der Schmerz dreimal so häufig chronisch wird. Hier hilft ein Therapeut oder Coach, aber ganz sicher nicht das Skalpell.
Lüge 4: Eine Operation hilft mehr
als eine konservative Therapie
In zwei großen Langzeitstudien der Harvard Medical School in Boston und der renommierten Universität von Leiden in den Niederlanden waren die Ergebnisse sowohl bei Patienten mit Spinalstenosen als auch bei Bandscheibenvorfällen, egal ob operiert oder nicht operiert, absolut identisch.
Lüge 5: Röntgenbilder helfen bei der Diagnose
Es gibt keinerlei Zusammenhang zwischen Röntgenbild und Rückenschmerz. Deshalb sind solche Bilder zur Diagnostik sinnlos, bei Menschen unter 40 sogar fast Körperverletzung. Ihre einzige Daseinsberechtigung haben Röntgenaufnahmen bei Knochenbrüchen, Fehlstellungen oder Arthrose in den Gelenken.
Lüge 6: Der Bandscheibenvorfall
kann ohne Operation nicht verschwinden
Er kann sehr wohl. Bei 75 Prozent aller konservativ behandelten Patienten ist der Bandscheibenvorfall nach zwei Jahren in der Kernspintomographie (MRT) schlicht nicht mehr nachweisbar. Bei den restlichen 25 Prozent sieht man im bildgebenden Verfahren noch etwas. Die allermeisten Patienten sind aber dennoch schmerzfrei, weil sich der Körper mit dem Zustand arrangiert. Der Körper hat den Schmerz also aufgelöst.
Lüge 7: Der aufrechte Gang
brachte uns den Rückenschmerz
Dieser Unsinn ist nicht auszurotten. Die Wirbelsäule ist sogar in geradezu idealer Weise für den aufrechten Gang geschaffen. Und nicht das Gehen auf zwei Beinen bereitet Rückenschmerzen, sondern das Nicht-Gehen. Nur in Bewegung ist die Wirbelsäule glücklich und die Bandscheiben werden ausreichend mit Flüssigkeit und Nährstoffen versorgt.
Lüge 8: Große Befunde stehen für große Schmerzen
Dramatische Kernspinaufnahmen des Rückens sagen, wie bereits erwähnt, überhaupt nichts über den Grad des vom Patienten empfundenen Schmerzes aus. Manchmal hat sich der Körper gerade bei degenerativen Erkrankungen wie einer Spinalstenose, aber auch bei Bandscheibenvorwölbungen, so gut mit den beengten Umständen arrangiert, dass der Patient absolut schmerzfrei ist.
Lüge 9: Schmerzen muss man da behandeln,
wo der Patient sie spürt
Das wäre fatal, denn zwischen dem Ort des Schmerzes und seinem Auslöser besteht oft eine deutliche räumliche Distanz. So schmerzt das Schultereckgelenk oft am Nacken, bei Problemen der Halswirbelsäule kribbelt es in den Fingern. Es gibt viele hüftoperierte Menschen, deren eigentliches Problem im Bereich der Lendenwirbelsäule lag.
Lüge 10: Eine Operation befreit Sie garantiert
vom Rückenschmerz
Schön wär’s. Tatsache ist aber, dass 10 bis 15 Prozent aller Rückenoperierten innerhalb von drei Wochen nach der Operation nach kurzzeitiger Schmerzfreiheit plötzlich wieder sehr hartnäckige Schmerzen bekommen. Der Grund ist eine Fibrose, das ist wucherndes Narbengewebe im operierten Bereich. Nachoperieren bringt nichts und würde nur zu weiterer Narbenbildung führen.
Und sogar 40 Prozent aller Rückenoperierten kehren innerhalb eines Jahres nach der Operation wegen erneuter Schmerzen zum Arzt zurück.
Fazit
Nach den aktuellen Leitlinien der AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften) muss zunächst geklärt werden, ob es eine eindeutige Ursache dafür gibt. Dazu befragt Sie die Ärztin oder der Arzt und untersucht Sie körperlich. In der Regel lässt sich damit ausschließen, dass etwas Ernsthaftes vorliegt. Nur in Ausnahmefällen oder bei länger als 4 bis 6 Wochen anhaltenden Schmerzen können weitere Untersuchungen wie bildgebende Verfahren (Röntgen, MRT, CT) oder Laboruntersuchungen in Frage kommen.
Die Behandlung:
Bei plötzlichen Kreuzschmerzen ist Bewegung am wichtigsten. Das haben hochwertige Studien belegt. Sie müssen dafür keine sportlichen Höchstleistungen erbringen. Es geht vielmehr darum, die normalen Aktivitäten des täglichen Lebens so weit wie möglich beizubehalten oder auszubauen. Vorübergehend können Ihnen dabei Schmerzmittel helfen. Am ehesten sind Schmerztabletten aus der Gruppe der traditionellen nicht-steroidalen Antirheumatika (NSAR) empfehlenswert. Dazu zählen die Wirkstoffe Diclofenac, Ibuprofen und Naproxen. Diese können jedoch Nebenwirkungen haben.
Von dem üblichen Schmerzmedikament Paracetamol raten Fachleute allerdings ab. Laut aktueller Studienlage half das Mittel bei Kreuzschmerzen nicht.
Bettruhe kann Ihnen schaden. Viele aussagekräftige Studien belegen, dass Bettruhe die Beschwerden nicht bessert, sondern eher verstärkt und die Heilung verzögert. Außerdem kann sie sich ungünstig auf die Muskeln auswirken und es erhöht sich die Gefahr, dass sich Blutgerinnsel bilden.
Wenn Bewegung und Medikamente nicht genug helfen, können zusätzlich nicht-medikamentöse Verfahren in Frage kommen. Unterstützend kann Ihnen zum Beispiel Wärmetherapie, Akupunktur oder Bewegungstherapie zusammen mit schulenden Maßnahmen angeboten werden.
Auch manualtherapeutische Maßnahmen sind bei akuten Kreuzschmerzen angezeigt und sind nebenwirkungsfrei!
Dr. Wolfgang Czichon / Arzt für Orthopädie
Chirotherapie, Osteopathie, Akupunktur,
spezielle Schmerztherapie, Sportmedizin, Präsident der DGMSM
Deutsches Facharzt-Zentrum,
Tel. 971 685 333 – www.dfz.es