Spanienwahl 2023 – Der große Rechtsruck bleibt aus
Bei der Parlamentswahl am 23. Juli hat sich ein technisches Unentschieden zwischen dem linken und rechten Lager ergeben. Folgt jetzt eine lange Hängepartie?
Unklare Perspektiven für Mallorca und ganz Spanien nach der Parlamentswahl vom 23. Juli: Im Land gibt es offenbar keine klaren Mehrheiten für eine Regierungsbildung. Überraschend lieferten sich die konservative Volkspartei PP und die Sozialisten von Ministerpräsident Pedro Sánchez (PSOE) am Wahlabend ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Keiner der beiden Blöcke auf der rechten und der linken Seite des politischen Spektrums konnte einen eindeutigen Sieg für sich verbuchen. Auch zusammen mit den Rechtspopulisten von Vox blieb Oppositionskandidat Alberto Nuñez Feijóo hinter der absoluten Mehrheit von 176 Parlamentsmandaten zurück, nachdem er in den Umfragen wochenlang weit vorne gelegen hatte.
Die PSOE von Pedro Sánchez zeigte sich indes etwas stärker als erwartet und zog mit fast ebenso vielen Sitzen ins Parlament ein wie die PP. 33,05% für die Konservativen und 31,7% für die PSOE – das macht unter dem Strich keinen großen Unterschied. Selbst wenn die PP die Stimmen der verschwundenen Liberalen von Ciudadanos fast vollständig aufsaugen und sich um 47 Mandate verbessern konnte, hat Sánchez seinen Stimmenanteil ebenfalls gesteigert und für seine fast schon totgesagte Partei im Vergleich zu 2019 sogar zwei Sitze hinzugewonnen. Auch die Linkspopulisten von Sumar (12,31%) und die Rechtspopulisten von Vox (12,39%) lagen eng beieinander und stellten mit ihrem Ergebnis keinen entscheidenden Abstand zwischen den Lagern her.
Katalanen und Basken
Wie schon oft nach Wahlen in Spanien kommt daher regionalen Akteuren wieder eine wichtige Rolle bei der Regierungsbildung zu. Das betrifft unter anderem die Baskische Nationalpartei PNV mit 5 Mandaten, die Kanaren-Koalition CC (1 Sitz), womöglich aber auch die Katalanen von Carles Puigdemont (7 Sitze), der seit einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum im Jahr 2018 von der spanischen Justiz gesucht wird, sich bislang aber auf seine Immunität als Europa-Abgeordneter in Brüssel und Straßburg berufen konnte. Eine Amnestie wäre nun naheliegend, um die Spannungen in Katalonien beizulegen und im Parlament die fehlenden Stimmen oder eine Enthaltung zugunsten von Sánchez zu organisieren.
Ob das klappen kann, ist derzeit alles andere als klar. Falls kein Bewerber bei der Wahl des Ministerpräsidenten in einigen Wochen oder Monaten eine relative oder absolute Mehrheit der Abgeordneten auf sich vereinigt, drohen Ende 2023 Neuwahlen in Spanien. Bis dahin dürfte die seit 2018 amtierende Koalitionsregierung aus PSOE und Linkspopulisten ggf. geschäftsführend im Amt bleiben.
Schlechte Chancen auf eine Regierungsbildung hat dagegen der vermeintliche Wahlsieger Feijóo, der lediglich auf die Unterstützung der Rechtspopulisten von Vox zählen kann. Die bei den Regionalwahlen am 28. Mai noch sehr erfolgreiche Formel PP-Vox ist vielen Spanierinnen und Spaniern auf nationaler Ebene wohl etwas unheimlich. Außerdem erscheint ein Bündnis, das gleichzeitig Vox und katalanische oder baskische Nationalisten umfasst, nahezu unmöglich.
Alternativ ist auch ein Tolerierungsmodell oder eine Art inoffizielle große Koalition zwischen PSOE und PP denkbar, wobei sich Sánchez und Feijóo allerdings mit ihrem jeweiligen Führungsanspruch diametral gegenüber stehen. Eine ähnliche Situation im Jahr 2016 endete damit, dass die PSOE ihren Parteichef Sánchez vorübergehend absetzte und zwei Jahre lang die PP-Regierung von Mariano Rajoy (2011-2018) tolerieren musste, bevor die Sozialisten dann ein Comeback feierten und die Konservativen über ein konstruktives Misstrauensvotum stürzen konnten. Wahlwiederholungen wegen unklarer Mehrheiten waren sowohl 2015/2016 als auch 2019 erforderlich.
Auf Mallorca und den Nachbarinseln gibt es unterdessen ebenfalls ein Patt zwischen den Lagern mit jeweils 3 Sitzen für PP und PSOE. Die regionalistische Öko-Partei „Més“ erreichte unter dem Dach der linken Plattform „Sumar“ (Nachfolger von „Podemos“) ein Mandat und könnte in Madrid an Einfluss gewinnen, während Vox einen von zwei Balearen-Sitzen verloren hat.
Madrid vs. Palma?
Manche Beobachter fürchten nun eine politische Blockade in ganz Spanien und auf den Balearen. Nachteilig für die Inseln ist möglicherweise auch, dass auf Mallorca und den Nachbarinseln eine andere Koalition regiert als in Madrid, denn die durch Vox tolerierte PP-Minderheitsregierung von Marga Prohens darf von der PSOE in Madrid nicht unbedingt eine Vorzugsbehandlung bei der Vergabe von Finanzmitteln erwarten. Die abgewählte Balearen-Präsidentin Francina Armengol (PSOE) gilt übrigens als enge Weggefährtin von Pedro Sánchez und hat nun ein Parlamentsmandat in der Hauptstadt errungen. Ob sie vielleicht zwischen Mallorca und Madrid vermitteln kann oder eher die Projekte der politischen Konkurrenz torpedieren will, wird sich bald zeigen. Vorsichtige Tendenzen zur Kooperation zwischen Konservativen und Sozialisten gibt es derweil in Palma de Mallorca, wo der neue PP-Bürgermeister Jaime Martínez zwar in der Minderheit ist, Vox aber trotzdem gezielt aus der Stadtregierung heraushält, nachdem die Rechtspopulisten ausgerechnet einen korruptionsverdächtigen Kommissar für die lokale Polizeispitze ins Gespräch gebracht hatten.
Klar ist, dass die eine Ebene ohne die andere manchmal nur wenig bewegen kann. So etwa beim Tempolimit auf der Ringautobahn Via Cintura oder der Abschaffung der umstrittenen und stauträchtigen VAO-Busspur zwischen dem Flughafen und dem Stadteingang von Palma de Mallorca, einem Wahlversprechen des neuen Rechtspakts auf den Balearen. Da die nationale Verkehrsbehörde DGT und ein Ministerium in Madrid zustimmen müssen, könnte die Situation womöglich bis 2024 oder länger so bleiben wie sie aktuell ist. Gutachten der Zentralregierung haben sich bereits dafür ausgesprochen, die Express-Spur beizubehalten, da sie angeblich Bussen und Taxis ein besseres Durchkommen ermöglicht. Auch die Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Via Cintura kann ohne Genehmigung aus Madrid nicht von 80 auf 100 oder 120 erhöht werden. Etliche weitere Vorhaben aus dem regionalen Regierungsprogramm von PP und Vox (siehe nächste Doppelseite) fallen sogar komplett in die Kompetenz des Zentralstaats.