Warum sich für die Balearen auf allen Ebenen politische Veränderungen abzeichnen

Wechselstimmung auf den Balearen – Umfragen sehen Mehrheit für Rechtspakt

Kommen auf Mallorca und die Nachbarinseln völlig neue politische Verhältnisse zu? Die Umfragen vor den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai deuten stark darauf hin. Ein Rechtspakt aus der konservativen Volkspartei und den Populisten von Vox könnte im Balearen-Parlament auf 30 Mandate kommen und somit die absolute Mehrheit erringen – und zwar unabhängig davon, ob liberale Kleinparteien wie „El Pi“ oder „Ciudadanos“ den Sprung ins Plenum schaffen oder nicht. Das ist neu im Vergleich zu Februar, als die Werte noch ein Patt auswiesen oder der Linken in Kooperation mit „El Pi“ sogar die Mehrheit gaben.

Sowohl die Umfrage von Keydata für das linke Online-Portal „Público“ (Stand: 3. April) als auch die Daten der katholischen Tageszeitung „La Razón“ (Stand März) weisen einen Vorsprung für die Rechte aus und sehen die konservative Volkspartei PP bei bis zu 33,3 Prozent, die Sozialisten der PSOE unter der amtierenden Balearen-Präsidentin Francina Armengol nur noch bei 22-23 Prozent. Die Verhältnisse der letzten Wahlen im Jahr 2019 haben sich damit in etwa umgekehrt, auch wenn die PSOE mit ihren potenziellen Verbündeten wie Més, Podemos und „El Pi“ immer noch auf 29 Sitze käme und nur ein einziges Mandat hinter dem Rechtspakt zurückliegt.

Ein Mandat entscheidet in der Wahlnacht
Dieser eine Sitz im Parlament entscheidet aber über die absolute Mehrheit, und der kleine Gesamtvorsprung der Rechten – sei es als Koalition oder Tolerierungsmodell – wird allmählich zum festen Umfragetrend. Dem hat sich auch das spanische Fernsehen RTVE angeschlossen: Die PP liegt in aggregierten Durchschnittswerten aus verschiedenen Quellen knapp über 30 Prozent und kommt mit den Rechtspopulisten von Vox auf 30 Mandate – alle anderen Parteien zusammen nur auf 29. Ebenso angeblich das Ergebnis einer internen Umfrage einer kleinen Regierungspartei (Més), wie die Tageszeitung „Diario de Mallorca“ berichtete.

Auch eine Pressekampagne zu Gunsten von Mitte-Links scheint an der Lage nichts zu ändern. Spanische Medien tendieren in Wahljahren zwar dazu, immer für die jeweilige Regierung einzutreten, was auch auf fette staatliche Anzeigenbudgets zurückzuführen ist.
Behalten die Demoskopen recht, kann die Sozialdemokratin Francina Armengol dennoch allmählich ihren Auszug aus dem Regierungssitz Consolat de Mar in Palmas Lonja-Viertel planen.

Nichtsdestotrotz dürfte es am Sonntag, 28. Mai, ein spannender Wahlabend werden. Laut Schätzungen liegen das rechte und das linke Lager lediglich etwa 30.000 Wählerstimmen oder 0,5 Prozentpunkte auseinander. Diese Werte rangieren klar innerhalb der Fehlerspanne der Umfragen. Neu bestimmt werden zudem die Mehrheiten in den Inselräten und in den Rathäusern. Nur bei den Gemeindewahlen sind auch EU-Bürger stimmberechtigt, sofern sie sich rechtzeitig ins Wählerregister eingetragen haben.

PP-Sieg trotz Fettnäpfchen? Konservative im Clinch mit Zimmermädchen

PP-Spitzenkandidatin Marga Prohens, studierte Dolmetscherin und PR-Managerin, wird im Mai 41 und ist damit zehn Jahre jünger als ihre sozialdemokratische Rivalin Francina Armengol (von Beruf Apothekerin). Einen Frauenbonus hat der regierende Linkspakt dieses Mal also nicht anzubieten, während die konservative „Partido Popular“ (Volkspartei) mit Verjüngung und Erneuerung für sich werben kann.

Das war nicht immer so, denn historisch wurden konservative Regierungen auf den Balearen seit Gabriel Cañellas (1983-95) immer wieder mit Korruption und autoritären Neigungen in Verbindung gebracht. Da war es wenig hilfreich, dass Marga Prohens die Wahllisten im März offenbar bei einem Bankett mit dem vorbestraften Partei­freund José María Rodríguez aushandeln wollte. Über 50 PP-Mitglieder sollen an dem Treffen teilgenommen haben, das anschließend medial ausgeschlachtet wurde. Ein Essen unter Parteifreunden sei doch nichts Besonderes, versuchte Prohens abzuwiegeln, bevor sie auch auf Geheiß aus Madrid öffentlich ihren Fehler eingestehen musste. Anders als in Deutschland werden Wahllisten in Spanien übrigens nicht mit großem zeitlichen Vorlauf von Mitgliedern oder Delegierten gewählt, sondern kurzfristig von Vorstandsgremien bestimmt. Das Sagen haben dabei die Vorsitzenden oder Spitzenkandidaten. Manchmal kommen sogar Weisungen von ganz oben aus der Hauptstadt.

Zwar gibt es auf Ibiza derzeit Vorwürfe wegen Vetternwirtschaft gegen PP-Inselratspräsident Vicente Marí sowie in der Gemeinde Santa Eularia, doch hatte die konservative Volkspartei PP in acht Jahren Opposition eigentlich genug Zeit zur Regeneration. Marga Prohens und ihr Umfeld gelten nicht als korruptionsverdächtig, lediglich als wirtschaftsnah. Die in der Hotellerie eingeführten elektrisch beweglichen Betten zur Gesundheitsprävention für das Zimmerpersonal bezeichnete sie jüngst „als größte Dummheit der letzten Jahre in der Tourismuspolitik“ – und erntete dafür einen Shitstorm auf allen Kanälen, der sich jedoch nicht in Umfragewerten zu spiegeln scheint.

Freiheitlich und wirtschaftsfreundlich
Neben unternehmerfreundlichen Ansätzen zur Ankurbelung des Wachstums spricht für die PP in erster Linie die zweischneidige Bilanz der seit 2015 regierenden Linken. Wegen deren Versagen in der Wohnungsbaupolitik ist es inzwischen soweit gekommen, dass man sich mit einem normalen Gehalt kaum noch eine Mietwohnung oder eine Hypothek auf den Balearen leisten kann. Dies obwohl in Spanien ohnehin meist zwei Personen in der Familie arbeiten müssen.

Umstritten sind auch die Verkehrspolitik der Linken mit aktuell vielen Baustellen und Staus rund um die Inselhauptstadt sowie Rohrkrepierer wie ein von Madrid abgeschmettertes und europarechtlich gar nicht mögliches Immobilienkaufverbot für Nichtresidenten.

Statt mit Verboten versucht es die PP dagegen lieber mit Anreizen und konstruktiven Vorschlägen im Sinn einer freiheitlichen Linie. Die gesellschaftlich stark konservative Partei hat vor allem in Wirtschaftsfragen eine liberale Programmatik und hofft damit, bei den Wählern zu punkten. Regionen wie Andalusien, Galicien oder die spanische Hauptstadt danken es ihr in letzter Zeit mit deutlichen bis absoluten Mehrheiten.

Gefahr für die PSOE Sozialisten droht der Machtverlust

In zehn von zwölf spanischen Regionen, die am 28. Mai wählen, ist die sozialdemokratische PSOE von Premierminister Pedro Sánchez und Balearen-Präsidentin Francina Armengol an der Regierung beteiligt. Nicht weniger als sechs oder sieben davon könnten laut Umfragen verloren gehen, darunter die Balearen und das wichtige Valencia. „Wenn wir am 28. Mai verlieren, gehen wir im Dezember bei den spanienweiten Parlamentswahlen unter“, heißt es laut Schlagzeilen warnend aus Parteikreisen.

Zur Unzeit kommt für die PSOE ein Korruptionsskandal auf den Kanaren um einen Parlamentsabgeordneten. Dabei geht es im Kern um mutmaßliche Vermittlung von öffentlichen Aufträgen gegen Bezahlung sowie um ein Bankett mit Unternehmern und Politikern in Madrid, während die spanische Bevölkerung im Lockdown ausharren musste: Zwar ist der Hauptbeschuldigte mittlerweile zurückgetreten und ausgeschlossen worden, doch haben die sich sonst so sauber gebenden „Sozis“ damit womöglich in einem entscheidenden Moment einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit verspielt.

Sollte Francina Armengol auf den Balearen am Ende einen Machtwechsel verhindern, hätte sie das wohl ihren alten und vielleicht neuen Partnern zu verdanken. Vor allem die Öko-Autonomisten von Més sind in den Umfragen sehr stabil. Die liberale Zentrumspartei „El Pí“ spekuliert indes darauf, zum Zünglein an der Waage zu werden, um die Rechtspopulisten von Vox auszustechen und sich in der politischen Mitte profilieren zu können.

Mehr Mindestlohn, hohe Schulden
An Erfolgen zu verzeichnen hat die linke Koalitionsregierung auf den Balearen eine gute Wirtschafts- und Beschäftigungslage, eine spanienweite Erhöhung des Mindestlohns auf über 1000 Euro sowie etwas bessere Sozialleistungen als zu Zeiten der Sparpolitik in der konservativen Legislaturperiode von 2011-2015, die bei vielen noch in schlechter Erinnerung ist. Das Wachstum ist höher als auf dem Festland.

Gleichzeitig sind auch die Staatsschulden massiv gestiegen, und seit Beginn des Ukraine-Kriegs nagen Inflation und Energiepreise massiv an Kaufkraft und Gewinnmargen. Die Krisen- Auswirkungen machen auch um die Balearen und Francina Armengol keinen Bogen. Allerdings wird auf Mallorca und den Nachbarinseln eine sehr gute Tourismus-Saison erwartet, und die PSOE wirbt im Programm unter anderem mit einer stärkeren staatlichen Regulierung des Miet- und Immobilienmarkts für sich, was genau die Ängste der Wähler treffen dürfte.

Als „Sozialisten“ verstehen sich die spanischen Genossen übrigens nur noch dem Namen nach. Spätestens seit Felipe González und dem von ihm unterstützten NATO-Referendum 1986 gelten sie als gemäßigt sozialdemokratisch. Auf den Balearen besteht ihre Rolle auch darin, die radikalen linken Bündnispartner im Zaum zu halten. „Partido Socialista Obrero Español“ (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei), so der etwas martialische Name der braven Partei.

Vor den Wahlen wird nun eine weitere Erhöhung des Mindestlohns in Aussicht gestellt. Außerdem verspricht das Parteienbündnis rund um die PSOE den Stopp von Privatisierungen im Gesundheitssystem. Hiergegen hatte es vor allem in PP-regierten Regionen Massenproteste gegeben, da die Versorgungsqualität immer schlechter wird. Auch auf den Balearen steht es um das Thema Wartelisten und Fachärzte jedoch nicht zum Besten.